Der 7. Rabe (German Edition)
Irgendwo würde es eine Spur von Farres geben. Sein verletzter Fuß würde ihn letztendlich verraten. Die halb verheilte Wunde würde gewiss zu wittern sein. Ohne ein weiteres Wort ließ er die Raben stehen, verwandelte sich und trabte seinen Wölfen entgegen, die ihn erst in diesem Moment einholten. Schwächlinge!
8.
Der Regen hatte aufgehört, dafür fuhr nun ein kalter Wind durch seine Federn. Raj blinzelte und zog sich unwillkürlich tiefer in die gemütliche Wärme des Beutels zurück. Irgendetwas störte ihn, aber er konnte derzeit gar nicht sagen, was das war. Wichtig war lediglich die Wärme, die seine Knochen angenehm durchströmte. Dafür schmerzte sein Flügel. Farres hatte ihn versorgen wollen, konnte sein Vorhaben allerdings nicht durchführen, weil er die Verwandlung nicht in den Griff bekam. Farres! Das war der störende Punkt! Raj riss die Augen auf. Farres war nicht da! Er drehte den Kopf, um sich umzuschauen. Bis auf ein paar wackelnde Farnwedel war nichts weiter zu bemerken. Wo war dieser Wolf abgeblieben?
„Kraa?“ Oh ja, toll, Raj! Farres wird ein Experte für Rabengekrächze sein. Trotzdem versuchte er es ein weiteres Mal: „Kraa?“
Die einzige Reaktion bestand darin, dass die Farne verstärkt wackelten. Rajs Herzschlag verdoppelte sich schlagartig. Es war nicht der Wind, der den Farn bewegte. Der wehte aus der anderen Richtung. Und wenn sich dort Farres aufhielt, dann hätte er ihn auf jeden Fall gehört und reagiert. Also … Rotes Fell erschien für eine Sekunde, ehe das hohe Gras ihm die Sicht nahm. Ein Fuchs! Ein Fuchs! EIN … Raj bemühte sich seine Panik zu unterdrücken. Er musste raus aus diesem Beutel. Hier drinnen war er wehrlos und präsentierte sich geradezu als Raubtierfutter. Es war nicht leicht, sich aus dem dicken Mantelstoff und dem Beutel zu winden. Hinterher war er völlig aus der Puste. Sein Flügel ließ sich kaum mehr bewegen, wie er am Rande einer Ohnmacht feststellte. Verflucht, tat das weh! Er duckte sich tief in das Gras, denn der Fuchs näherte sich schnüffelnd.
Prima, jetzt habe ich Farouche und dieses Verlies überlebt, um als Zwischenmahlzeit für ein ganz anderes Raubtier zu enden , dachte er panisch und versuchte sich unauffällig zurückzuziehen. Er musste Farres finden, ansonsten konnte er mit seinem Leben abschließen. Beinahe hätte er belustigt gekrächzt. Welch Ironie: Schutz bei seinem Feind suchen zu müssen. Der Fuchs hob ruckartig den Kopf und spannte seinen Körper an. Eiskalt überlief es in Raj. Das Raubtier hatte ihn entdeckt. Raj stellte die Federn auf, klapperte drohend mit dem Schnabel und gab ein lautes: „Rak, rak, rak!“ von sich. Leider ließ sich der Fuchs damit nicht beeindrucken. Offenbar hatte er seinen schlappen Flügel bemerkt und wusste, dass er leichte Beute war. Lauernd schlich der Rote auf ihn zu.
Mahlzeit! , dachte Raj am Ende seiner Weisheit.
~*~
Farouche hob seine Wolfsschnauze und beobachtete, wie ein riesiger Schwarm Raben den Himmel vereinnahmte. König Rajadas musste alles, was Flügel hatte ausgeschickt haben, um nach Farres und seinem Sklaven zu suchen. Wie eine Flut strömten die schwarzen Gestalten aus den Zwanzig Türmen. Das lautstarke Geschrei dieser gefiederten Pest hallte in seinen Ohren und ging ihm gewaltig auf die Nerven. Schließlich wandte er seine Aufmerksamkeit seinem Rudel zu. Eifrige Spürnasen suchten jeden Fingerbreit des Waldbodens nach einer Fährte ab. Es wäre ja gelacht, wenn sie die beiden Vermissten nicht zuerst finden würden. Noch immer war er sich nicht sicher, ob Farres ihn verraten hatte oder nicht. Er konnte sich sein klammheimliches Verschwinden nicht erklären. Allerdings würde sich jemand, der nichts zu verbergen brauchte, nicht verstohlen aus der Canisfeste schleichen. Sollte er sich derartig in seinem Bruder geirrt haben? Wenn, dann konnte Farres ihm gefährlich werden, denn er war stark. Nicht nur körperlich, sondern auch von seinem Willen her. Der Beweis lag in seiner Fußverletzung. Wer mit einer solchen Wunde noch mit dem Rudel lief und einen Bewusstlosen von der Nande bis in die Canisfeste schleppen konnte, den sollte man nicht unterschätzen. Bisher war Farouche immer stolz auf sein Brüderchen gewesen. Hatte ihm dieser Stolz den Blick für Verrat vernebelt? Er stieß ein wütendes Heulen aus, dass die Mitglieder seines Rudels zusammenzucken ließ. Er war der Alpha des Rudels und sein Thron begann langsam zu schwanken. Ein Wolf war mit einem
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