Der 7. Rabe (German Edition)
Gefangenen aus der Feste geflohen und sollte dieses fliegende Pack die Ausreißer vor ihm finden, würde seine Position von dem Rudel in Frage gestellt werden. Einige Mutige würden sich vielleicht sogar zusammenrotten und eine Herausforderung wagen. Das durfte er nicht zulassen. Der Thron gehörte ihm – ihm allein! Und eines Tages würde ihm auch Zwanzig Türme gehören. Er würde einen Weg finden, die Raben zu vernichten. Mit Raj würde er den Anfang machen. Gleichgültig, ob das Hühnchen ihm oder seinen Bruder gehörte. Wütend verwandelte er sich in seine Menschengestalt. In ihr konnte er besser denken.
„Strengt euch an!“, herrschte er die Wölfe an. „Beeilt euch. Und Gnade euch Gott, wenn ihr die beiden nicht zuerst findet.“
Erneut schaute er in den Himmel, wo ganze Rabenschwärme kreisten. Dieses Gekrächze machte ihn wahnsinnig!
~*~
„Kraaa! Kraaaaa!“ Raj hüpfte wie wild hin und her. Drei Attacken des Fuchses hatte er überlebt, durch Ausweichmanöver und beherztem Schnabeleinsatz. Der Rote lauerte nun in einigem Abstand. Der wusste genau, dass er sich bloß ein wenig zu gedulden brauchte, bis dem dummen Federvieh die Puste ausging.
Plötzlich jaulte der Fuchs und fuhr zusammen. Verwirrt hielt Raj inne, was ein Fehler war, denn nun hatte die Erschöpfung Zeit, ihn einzuholen.
Wieder jaulte der Rote und musste sich ducken, als zwei gewaltige Kolkraben auf ihn niedergingen und ihn unter lautem Drohgekrächze und -geklapper mit Krallen und Schnäbeln attackierten. Fiepend verschwand er im Wald.
Raj kauerte im Gras, versuchte sich unsichtbar zu machen und gleichzeitig zu entscheiden, ob er sich jetzt gerettet fühlen durfte oder nicht. Das waren keine Gestaltwandler, sondern echte Raben, die anscheinend seinen Hilferufen gefolgt waren. Umbringen würden sie ihn normalerweise nicht, aber wenn sie beschließen sollten, dass er in ihrem Revier unerwünscht war …
„Bist du aus dem Nest gefallen, Küken?“ Einer der Raben stieß ihn an, ein Weibchen. Ihre Stimme klang spöttisch, die beiden wussten sicher, dass er erwachsen und vor allem nur zur Hälfte einer von ihnen war.
Ihr Begleiter, ein Männchen, plusterte sich vor Raj auf. Über einen Schritt Flügelspannweite waren mehr, als er im Moment erfassen konnte. Oder wollte.
„Danke für die Hilfe“, murmelte er sehr schwach.
„Der Rote macht sowieso nur Ärger und versucht ständig, uns die Beute wegzuschnappen.“ Das Männchen begutachtete Raj von allen Seiten.
„Du stinkst nach Wolf“, sagte er schließlich. „Falls das dein Freund sein sollte, beeil dich lieber. Der stirbt da drüben am Wasser gerade vor sich hin. Wäre ein echt leckerer Brocken für uns.“
Mit einem sirrenden, schrillen Pfeifton erhoben sich beide Raben in die Lüfte und ließen Raj hocken, wo er war.
Der musste erst einmal realisieren, dass er überlebt hatte. Begreifen, dass er nicht mehr unmittelbar in Gefahr stand, gefressen zu werden. In Ruhe überdenken, was der Rabe ihm da so ganz genau gesagt hatte.
Dann hüpfte er, so rasch sein geschundener Körper ihn ließ, in Richtung Flussufer, in der Hoffnung, dass Farres sich tatsächlich dort befand.
Der Wolfswandler lag in menschlicher Gestalt der Länge nach hingestreckt da und rührte sich nicht. Seine Haut war marmoriert vor Kälte und als Raj sich gegen die stoppelbärtige Kehle lehnte, spürte er nur sehr schwachen Puls und langsame Atemzüge.
Für einen Moment verlor Raj all seinen Mut und sackte erschöpft in sich zusammen. Ohne Farres war er hier draußen verloren! Aber dann gab er sich einen Ruck. Noch lebte Farres und solange gab es Hoffnung, Himmelherrgottnochmal!
Er pickte gegen Farres Schulter und krächzte ihm laut in die Ohren. Das provozierte ein hauchzartes Stöhnen, was ermutigend war. Wild entschlossen kratzte Raj ihm mit den Krallen über Arm und Schulter. Wenn er sich doch verwandeln könnte, dann …
Irritiert hielt er inne. Er fühlte sich grauenhaft, ja, ungefähr so, als hätte der Fuchs ihn eine halbe Stunde lang gut durchgekaut und dann ausgespuckt. Aber diese lähmende Starre war fort, jetzt, wo er der Dunkelheit entflohen war. Im Verlies, abgeschnitten von Luft, Sonne, Freiheit und Hoffnung, da war diese geistige Lähmung über ihn gekommen. Sonnenschein durfte er zwar nicht genießen, seine Freiheit war stark begrenzt, Luft und Hoffnung gab es hingegen schon. Eigentlich war Regen auch ganz in Ordnung, es würde die Wölfe bei der Suche nach ihnen behindern.
Raj,
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