Der 7. Rabe (German Edition)
Freilassen wollte er ihn nicht, sonst hätte er den Eichenhain mit Kusshand genommen und ihn in die Arme seiner Brüder geschubst. Hier gab es anscheinend eine größere Sache, für die Farres sogar Farouches Zorn auf sich nahm. Aber gleichgültig wie sehr er sich einreden wollte, dass der Wolf ihn ausschließlich deshalb gut behandelte und sein Vertrauen gewinnen wollte, weil er ihn aus irgendeinem Grund brauchte, piepste ein sehr kleines Stimmchen in ihm:
Er könnte mich zwingen, egal zu was. Trotzdem ist er behutsam. So handelt nur ein guter Mensch. Ich vertraue ihm …
Farres hüllte ihn wie verabredet in die Mäntel ein, steckte ihn in den Beutel und band ihn sich auf den Rücken. Es war heiß, eng und stickig. Zumindest solange, bis der Wandler in die Nande stieg. Raj schrie unwillkürlich auf, als das eisige, wogende Wasser über seinen Kopf schwappte. Es kam nur ein heiseres Krächzen aus seinem Schnabel, den er hochzuhalten versuchte. Schlimm genug, dass er Farres’ verzweifelten Kampf gegen die Strömung mitverfolgen musste, doch bewegungsunfähig jedem Schicksal hilflos ausgeliefert zu sein war erbärmlich. Während sie in rasender Geschwindigkeit abgetrieben wurden, kämpfte Farres sich in seiner menschlichen Gestalt voran. Sie schienen kaum Fortschritte zu machen, wurden immer wieder von Strudeln gepackt, untergetaucht, beiseite geschleudert. Farres war ein hervorragender Schwimmer, seine kraftvollen Züge waren alles, was ihr Überleben garantierte und hier im Fluss schien ihn sein verkrüppelter Fuß nicht zu behindern. Mehr als einmal musste er sich in die Strömung hineinwenden, statt auf das andere Ufer zuzuhalten, wodurch sie noch schneller abgetrieben wurden, aber den tückischen Felsen entkommen konnten.
Raj focht derweil seinen eigenen Kampf ums Überleben. Zu oft wurde sein Kopf untergetaucht und Wasser in seinen Schnabel getrieben. Es zermürbte seine geringen Kräfte und egal, wie heftig er versuchte, es zu verhindern, seine Sinne schwanden mit jedem hektischen Atemzug …
Farres war völlig erschöpft, als er von einem Strudel abgetrieben an einer flachen Stelle landete. Es gelang ihm, sich zum Wolf zu wandeln, auf vier Beinen hatte er hier nun den besseren Halt, und wenige Augenblicke später hatte er das Ufer erreicht. Sofort kehrte er in menschliche Gestalt zurück und zerrte sich das Bündel vom Rücken.
Rajs Kopf hing reglos herab.
„Neinneinneinnein!“ Verzweifelt barg er den winzigen Raben aus seinem Nest aus Mänteln und Kleidung in dem Beutel. Er durfte nicht ertrunken sein! Es durfte nicht alles umsonst gewesen sein!
In seiner Panik übersah er alle Lebenszeichen, bis sich Raj plötzlich schwach in seinen Händen rührte. Nun endlich spürte er den Herzschlag unter seinen Fingern.
„Dem Himmel sei dank.“ Geschwächt sank Farres zu Boden. Die Nande hatte ihn aller Kraft beraubt und die Kälte steckte ihm in sämtlichen Knochen. Er musste sich anziehen, seine Kleidung war trocken geblieben. Außerdem sollte so wenig wie möglich sichtbar herumliegen. Er musste weiter fort vom Ufer, wo er gesehen werden konnte. Er musste Raj sicher unterbringen.
Letzteres war am wichtigsten, entschied Farres desorientiert. Schnell steckte den Kleinen zurück in den Beutel, den er in Wolfsgestalt packte und über den Boden kriechend mit sich zog, bis er einen geeigneten Busch fand. Dort ließ er Raj liegen. Der Beutel würde ihn warm halten und da dieser nicht fest zusammengeschnürt war wie vorhin, konnte das Hühnchen sich auch ein wenig bewegen. Farres tapste zurück zum Ufer. Was wollte er hier?
Richtig, er musste sich anziehen.
Die Verwandlung, die ihn normalerweise höchstens ein wenig Konzentration abverlangte, fühlte sich diesmal an, als müsste er jeden Knochen einzeln in die passende Form und Länge brechen. Sein gequältes Winseln und Fiepen ging nach und nach in menschliches Stöhnen über.
Was war noch einmal der Grund für diese Tortur gewesen? Er konnte sich nicht erinnern.
Farres Kopf sank in das weiche Gras, das in der Nähe des Ufers wuchs. Nichts konnte so eilig sein, dass er nicht wenigstens ein paar Minuten die Augen schließen konnte …
~*~
„Ein Wolf! Ein Wolf!“ Schreiend rannte das Mädchen vor Farouche davon, der nur sehr widerwillig seinen Jagdtrieb zügelte. Die Kleine hatte mit anderen Kindern gespielt, die sich nun allesamt in Raben verwandelten und sich mühsam flatternd in Sicherheit brachten. Schade, ihr zartes Fleisch hätte ihm
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