Der 7. Rabe (German Edition)
den Boden, um seine kranke Pfote zu lecken. Raj drehte den Kopf. Es war bestimmt eine gute Idee, hier zu bleiben. Denn zu dem Nebel, der immer dichter wurde, senkte sich auch die Nacht herein. In wenigen Minuten würden sie gar nichts mehr sehen können und wenn sie trotzdem weiter gehen würden, könnten sie ganz schnell auf Nimmerwiedersehen im Moor verschwinden.
Endlich war Farres mit seiner Verletzung fertig und verwandelte sich. Mit einem Stöhnen nahm er den Beutel ab und öffnete ihn, sodass Raj heraushüpfen konnte. Er musste ein dringendes Geschäft erledigen und in Gestalt eines Raben war es weniger peinlich. Farres hatte bereits unterwegs etliche Grasbüschel angepinkelt, nachdem sie sicher sein konnten, dass ihnen kein Wolf so weit in das Moor hinein folgen konnte, da sich in dem feuchten Untergrund kein Geruch lange hielt. Er war vorsichtig gewesen und hatte mehrfach die Richtung gewechselt, bis es selbst Raj schwindlig geworden war. Ihre Verfolger hatten sie inzwischen bestimmt abgehängt.
„Schade, dass wir hier kein trockenes Holz finden werden, um ein kleines Feuer zu machen. Ich hatte ein paar von den Ringelblumen gepflückt, mit denen du meinen Fuß versorgt hast.“
Ach, Ringelblumen waren das? Wer von ihnen beiden hatte eigentlich fünf Jahre an der Hohen Akademie studiert und wusste immer noch nicht, dass diese gelben Dinger Ringelblumen waren? Warum kannte er sich mit der Pflanzenwelt des Moores aus, aber nicht mit dem Blumengarten seiner Mutter?
Weil du dich immer vor den Gartenarbeiten gedrückt hast, du Lumpenstrumpf!
„Kraa.“
„Ich habe furchtbaren Hunger. Du auch, Raj? Magst du nicht deine Menschengestalt annehmen?“
„Kraaa, kraa, rak.“ Er hatte sich gerade so schön aufgeplustert. Der Nebel, die Nacht … ihn störte das alles gerade gar nicht. Wenn er sich verwandelte, dann würde sicherlich sein Arm wieder entsetzlich wehtun. Außerdem kam er sich als Vogel nicht ganz so klein vor. In Menschengestalt konnte Farres auf ihn herabsehen. Auf ihn – den Kleinen, den Winzling, den Zwerg. Was hatten ihn seine Kommilitonen verspottet und verlacht. Herumgeschubst hatten sie ihn, wo sie nur konnten. Seine mangelnde Größe hatte ihnen Mut gemacht, auch wenn sie hinterher merkten, dass sie ebenfalls einsteckten und er durchaus wehrhaft war. Bei sechs älteren Brüdern wurde man das zwangsläufig. Aber allein die Tatsache, dass er ein siebenter Sohn war, hatte ihm das Leben an der Akademie zur Hölle gemacht. Unglücksbringer und Wechselbalg hatten sie ihn genannt. Und das waren die netten Bezeichnungen gewesen. Besonders einige Studenten hatten es auf ihn abgesehen gehabt. Dass er ein Rabe war, war für sie nur eine zusätzliche Dreingabe gewesen. Denn sie waren Katzenwandler. Damit war der Ärger schon vorprogrammiert.
„Raj? Geht es dir nicht gut oder weswegen klapperst du mit dem Schnabel? Das klingt komisch.“
Komisch? Komisch ? Dieses Schnabelklappern war die weltbeste Drohung aller Zeiten gewesen und nicht komisch.
„Nun verwandel dich endlich. Ich will mir deinen Arm ansehen.“
Nein, danke. Das wäre garantiert mit Schmerzen verbunden. Darauf konnte Raj verzichten.
„Raj, mach schon. Oder ich stopfe dich in den Beutel zurück und hänge dich für die restliche Nacht in den Baum.“
Ihm klappte vor Empörung der Schnabel auf. Das brachte dieser verflixte Wolf bestimmt fertig.
~*~
Farouche hielt inne, als seine breiten Pfoten bis zum Gelenk im Schlamm versanken. Witternd hob er die Nase, roch allerdings bloß den Nebel, der jeden anderen Geruch aus der frischen Luft herauszufiltern schien. Angewidert trat er einige Schritte zurück, bis er wieder festen Boden unter den Ballen hatte.
„Sie sind ins Moor gelaufen“, knurrte er. Ephrim an seiner Seite nickte bestätigend und legte seinen grauen Kopf schief.
„Willst du ihnen dort hinein folgen?“, erkundigte er sich.
„Natürlich. Farres ist mir einige Antworten schuldig. Oder willst du, dass ich ihn laufen lasse?“
„Was ist mit der Canisfeste?“
„Was soll mit ihr sein?“
„Du hast ebenfalls gesehen, dass die Raben nach Zwanzig Türme zurückgekehrt sind. Farres und sein Hühnchen haben sie nicht gefunden, ansonsten hätten wir ihre Fährte nicht direkt vor uns. Was wäre also, wenn König Rajadas eine Eingebung hatte und seinen Schwarm sammelt, um die Canisfeste in deiner Abwesenheit anzugreifen?“
Farouche bellte überrascht. „Das wird die alte Saatkrähe nicht wagen.“
„Das
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