Der 7. Rabe (German Edition)
schwächer als gewohnt. Jetzt erst erinnerte er sich, dass er in dieser Gestalt noch immer die Kompresse trug, an Ort und Stelle gehalten vom Stiefel. Als Wolf war er aber stundenlang durch den Morast gewatet, hätte das nicht Schaden anrichten müssen?
Seufzend zwang er sich, diese Gedanken fallen zu lassen. So dringend er auch nachsehen wollte, wichtiger war es ihm, Raj halten zu dürfen.
Was sind das bloß für Gedanken?
Unmöglich, es zu leugnen, er war haltlos in den Kleinen verliebt. Allein hier zu liegen und seinen Atem, seinen Herzschlag, die Wärme seiner Haut zu spüren, brachte Frieden über ihn, wie Farres ihn noch nie erleben durfte …
Als Raj sich unter Schmerzen aufsetzte und mit der linken Hand müde die Augen rieb, fand er Farres einige Schritt von sich entfernt auf dem Boden kauernd, über seinen wunden Fuß gebeugt. Noch immer lag dichter, feuchter Nebel über dem Moor, der alle Geräusche wie auch die unerfreulichen Gerüche dämpfte.
„Ist es schlimmer geworden?“, fragte er ahnungsvoll. Dieser Sturkopf, er hätte sich wirklich schonen müssen!
Farres blickte ihn mit einem seltsamen Lächeln an.
„Schau selbst!“
Raj staunte: Die Wunden nässten nicht mehr und die eitrigen Stellen waren zwar nicht verschwunden, sahen allerdings sauberer aus. Vor allem war der Fuß nicht mehr so rot und geschwollen.
„Das kann doch nicht von einem Mal Ringelblumentee auftupfen schon besser geworden sein!“
Statt einer Antwort griff Farres nach ihm und begutachtete Rajs Hals. Verwirrt von so viel Nähe hielt er still.
„Hm, es sieht gut aus, das könnte aber auch der normale Heilungsprozess gewesen sein.“
Raj wollte etwas erwidern. In diesem Moment bemerkte er eine Bewegung am Boden.
Farres sprang auf und verwandelte sich übergangslos. Unruhig drehte sich der Wolf im Kreis und knurrte dabei bedrohlich. Raj verharrte wie festgewachsen auf der Stelle. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Als Mensch war er weithin sichtbar, als flugunfähiger Rabe völlig wehrlos.
Da, wieder eine huschende Bewegung im hohen Gras. Es war kein Wolf, dafür bewegten sich die Halme zu wenig. Als Farres sich plötzlich zurückverwandelte, schrak Raj zusammen. Wer war der Feind, verdammt, und wo steckte er?
„Wir sind von Schlangen umgeben“, grollte Farres. „Der Nebel und die Moordämpfe haben den Reptiliengestank überdeckt.“
Schlangen! Raj hasste Schlangen. Dass die Biester sie umzingelten, sprach zudem gegen die Möglichkeit, dass es ganz gewöhnliche Schlangen waren …
Als hätten sie seine Gedanken gehört, richteten sich rund ein Dutzend Männer und Frauen auf, allesamt hochgewachsen, kahlköpfig und sehr schlank. Nur mühsam unterdrückte Raj ein Stöhnen, als er in einem von ihnen einen ehemaligen Kommilitonen erkannte. Nantir, der älteste Sohn der Schlangenkönigin, hatte ihm das erste Studienjahr zur Hölle gemacht!
„Nun schau, wen wir da haben“, rief Nantir und kam mit einem arroganten Grinsen auf ihn zu.
„Der Unglücksrabe! Brüder und Schwestern, darf ich vorstellen: Raj, siebter Sohn des Rabenkönigs. Und sein Geliebter, mit dem er bis eben hingebungsvoll geschmust hatte, bringt noch mehr königliches Geblüt in unsere Runde: Farres, Beta von Farouches Rudel und damit der Kronprinz der Wölfe.“ Er deutete eine Verneigung an. „Vielleicht erinnerst du dich an mich, verehrter Wolf“, sagte er spöttisch. „Du hast mir und einigen meiner Leute vor zwei Jahren die Passage zur Nirresschlucht verweigert.“
Raj wusste kaum, ob er vor Wut ausrasten, vor Scham darüber verglühen, dass sie beobachtet worden waren, oder vielleicht doch lieber Angst empfinden sollte. Er stand Rücken an Rücken mit Farres, der unaufhörlich drohend grollte, obwohl er seine menschliche Gestalt beibehielt.
„Ein ungewöhnliches Paar!“, zischte eine Frau von faszinierender Schönheit und abstoßend kalten Augen. „Sollten sie nicht Todfeinde sein?“
„Die Legenden ergehen sich nur zu gerne über Liebende aus verfeindeten Sippen und Völkern.“ Nantir stand nun so dicht vor Raj, dass er jedes einzelne handflächengroße schwarze Mal auf der entblößten hellen Haut des Schlangenwandlers betrachten konnte. Er und seine Gefährten waren nackt, abgesehen von schmalen weißen Tüchern, die ihre Scham bedeckten. Auf diese Weise war Nantir auch in der Universität herumgelaufen. Niemand hätte jemals gewagt, ihn deswegen zu hänseln, er war für seine Geduld und eiskalte Emotionslosigkeit bei
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