Der 7. Rabe (German Edition)
beenden können?“
Raj hatte den Wortwechsel zwischen den Brüdern aufmerksam verfolgt und sich dabei den schmerzenden Hals gerieben. Er hatte Farres‘ Wunsch respektiert, es bei Farouche zunächst mit Vernunft zu versuchen. Allerdings erweckte der Leitwolf keineswegs den Eindruck vernünftig zu sein. Vielmehr wirkte er auf Raj wie ein Wahnsinniger, denn er begann wie irr zu lachen.
„Ephrim ein Verräter?“, wiederholte Farouche belustigt Farres‘ Worte. „Du redest absoluten Blödsinn.“
„Frage Raj. Er wird dir das bestätigen.“
„Hat er dir diesen Floh ins Ohr gesetzt, Brüderchen?“
„Farres sagt die Wahrheit, Farouche“, sagte Raj. „Ephrim wollte dich vom Thron stürzen.“
Als hätte er seine Versicherung nicht gehört, fuhr Farouche fort: „Und was deine wunderbare Karte angeht, Farres, hättest du gar nicht erst zur Hohen Akademie wandern müssen. Sie interessiert mich kein bisschen“
„Was?“ Farres keuchte überrascht auf und auch Raj starrte den Leitwolf fassungslos an. „Weshalb denn nicht?“
„Die Karte ist mir egal, Farres. Ich habe ein Ziel, das auf diesem wertlosen Stück Pergament mit Sicherheit nicht verzeichnet ist: Die Vernichtung der Raben. Den Tod von Rajadas und seinem Weib, seinen erbärmlichen Söhnen einschließlich deines Hühnchens und des gesamten Schwarms. Ich will Zwanzig Türme dem Erdboden gleichmachen und alles schleifen, was an diese Rabensippe erinnert …“
„Falls du Farjas Tod rächen willst, dann sind die Raben die Falschen, die du umbringen willst. Ephrim …“
„Farja!“, zischte Farouche. „Farja ist mir egal. Die Raben sind es nicht. Sie stehen meiner Herrschaft über das gesamte Land rund um die Nande im Weg.“
„Er ist verrückt, Farres“, flüsterte Raj erschüttert. „Vollkommen verrückt.“ Er klammerte sich an seinen Liebsten und bemerkte, dass auch die anwesenden Wölfe missmutige Blicke miteinander tauschten. Wollten sie wirklich diesen Wahnsinnigen aufhalten? Sie würden beide sterben! Farres küsste seine Stirn.
„Wir schaffen das“, sprach er ihm Mut zu und schob ihn ein Stückchen von sich. „Du schaffst es.“
Nein, er würde kläglich versagen. Er hatte zu viel Angst. Es war besser, von seinem Plan abzulassen und sich etwas Aussichtsreicheres auszudenken.
„Farres, wir sollten …“
„Zum Wohle unseres Rudels, Farouche, fordere ich dich heraus!“, rief Farres.
Nein, nein, nein! Er würde scheitern! Raj sackte panisch in die Knie. Ringsherum verstummte auch das letzte Getuschel unter den Wölfen. Aller Aufmerksamkeit war auf die Wolfsbrüder gerichtet. Farouche schien mitten in der Bewegung eingefroren zu sein. Erst Sekunden später drehte er sich langsam zu Farres um. Das Gesicht seines Liebsten war blass, aber gefasst.
„Ich fordere dich heraus, Farouche“, wiederholte er mit leicht zitternder Stimme.
„Also bist doch du der Verräter.“ Farouche verwandelte sich so rasch, dass Raj gar nicht mehr reagieren konnte. Sofort sprang er Farres an, der gerade noch rechtzeitig die Arme hochreißen konnte, um seine Kehle zu schützen. Im nächsten Moment fuhren zwei Wölfe aufeinander los.
Rajs schöner Plan ging soeben den Bach runter. Sein Rabe kauerte voller Schrecken am Boden, seine steigende Angst brannte ihm in der Nase. Farouche war einfach zu schnell. Und nun musste er um sein Leben kämpfen, weil er in seiner Bruderliebe nicht hatte einsehen wollen, dass niemand Farouche helfen konnte. Sein älterer Bruder war dem gleichen blutigen und mordenden Wahnsinn verfallen wie einst ihr Vater. Mit mehr Glück als Geschick konnte sich Farres vor ernsthaften Bissen schützen. Die Ohren zurückgelegt und die Zähne gebleckt gingen sie wiederholt aufeinander los, Farouche blind vor Wut und er selbst eher halbherzig, da es in einem Winkel seines Verstandes weiterhin flüsterte, dass es sein Bruder war, den er im Kampf unterwerfen und töten sollte. Farouche rammte ihn, versuchte ihn umzuwerfen, damit seine Kehle entblößt dalag. Hätten die Schlangen nicht seinen Fuß so wunderbar versorgt, wäre es ihm auch gelungen. Nun aber konnte Farres seinem Bruder standhalten und ihm die Fänge in den Pelz schlagen. Fell flog durch die Luft, als sich Farouche kratzend und heulend freimachte, nur um gleich wieder anzugreifen. Farres erhaschte einen Blick auf Raj, dessen Gesicht diesen unheimlichen leeren Ausdruck angenommen hatte. Was tat er da? Es war doch bereits viel zu spät, um Farouche am Verwandeln zu hindern.
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