Der 7. Rabe (German Edition)
vereinen. Raben sind wenigstens ebenfalls Raubtiere!
Der Alte war allerdings auf diese Weise geboren worden.
Raj krächzte leise etwas, als Randyn ihn vorsichtig in den Korb hob.
„Er sagt, dass du dir keine Sorgen um ihn zu machen brauchst“, übersetzte Rynalph. „Er ist …“ Rynalph stockte und starrte seinen Bruder stirnrunzelnd an. „Soll ich das wirklich laut und vor Zeugen aussprechen?“, fragte er, offenkundig leicht schockiert.
Das nachdrückliche Krächzen, das darauf folgte, brauchte keine Übersetzung.
„In abgemilderter Form sagt er, dass er alles im Griff hat, lediglich etwas müde und verwirrt ist und sich darauf freut, dir nun bald ebenso ähm, nah sein zu können, wie du ihm“, murmelte Risser. Sein verlegenes Grinsen half, die Bedeutung dieser kryptischen Worte zu erahnen.
„Sobald du heil und gesund bist, mein Hübscher, stehe ich dir uneingeschränkt zur Verfügung“, erwiderte Farres und strich sacht über den Kopf seines frechen, wunderbaren, einzigartigen Geliebten.
Auf sein Nicken hin verwandelten sich die Brüder. Zwei von ihnen genügten, um den Korb mit seiner kostbaren Last hochzuheben. Unter lautem Gekrächze flogen sie davon. Zurück blieben die Leiche seines Bruders, ein aufgewühltes Rudel und zu viele Pflichten und dringliche Aufgaben, als dass Farres gewusst hätte, wo er jetzt anfangen sollte.
„Wie wäre es, wenn du uns endlich erklärst, was hier gerade verdammt noch mal abgelaufen ist?“, fragte Bervo, der Rudelälteste.
Eine hervorragende Idee. Vielleicht würde Farres dabei selbst begreifen, was geschehen war …
20.
„Liebes, bitte beruhig …“
„ICH WILL MICH NICHT BERUHIGEN! MEIN KÜKEN IST FÜNF JAHRE DURCH DIE HÖLLE MARSCHIERT UND DAS IST DEINE SCHULD!“
„Liebste, das konnte ich wirklich nicht ahnen, und es war nicht meine Absicht …“
„ES GIBT VERDAMMT VIEL, WAS NICHT DEINE ABSICHT WAR, PASSIERT IST ES TROTZDEM! HÄTTEST DU RANDYN NICHT VERBOTEN, IHN ZU BESUCHEN, WÄRE DAS ALLES ANDERS GEKOMMEN, DENN DER HÄTTE SOFORT GEWUSST, WIE SEHR ER LEIDET!“
„Mutter, auch wenn es schwer zu begreifen ist, in vielerlei Hinsicht ist aus all dem Unglück auch Gutes entstanden. Schau, der Schlächter ist tot, und Farres wird uns die Hand zum Frieden reichen, und Raj hat …“
„WAG ES NICHT! WAG ES NICHT, DAS WORT LIEBE IN DEN MUND ZU NEHMEN, RAKDEN! LIEBE ZU EINEM WOLF! UND JETZT IST ER SELBST AUCH NOCH EIN WOLF!“
Raj lag in seinem Bett und lauschte dem hysterischen Anfall seiner Mutter. Die Heimkehr an sich war unerwartet glimpflich verlaufen. Rakden und Ris’tan hatten sie in Empfang genommen und sich alles von Randyn erzählen lassen, während Risser, Rynalph und Rayskel es mit ihren Eltern aufgenommen hatten. Mutter war gekommen, hatte ihn mit Küssen, liebevollen Umarmungen und tränenreichen Worten begrüßt, seine Nase gerichtet, ihn wie ein frisch geschlüpftes Küken gewaschen und zwangsgefüttert und kein einziges Wort zu seinen neu entdeckten Fähigkeiten oder seiner Beziehung zu Farres gesagt. Sein Vater war ihm eher wachsam begegnet, bis er sicher war, dass sein Jüngster ihm nicht grollte, bevor auch er ihn mit warmen Worten behutsam an seine Brust gedrückt und ihn willkommen geheißen hatte. Erst nachdem seine Familie ihn wie einen Invaliden in sein gewohntes Bett gebracht hatte, hatte seine Mutter begonnen, sich aufzuplustern.
Dass man ihre Stimme durch sämtliche Räume und Gänge von Zwanzig Türme hallen hörte, war kein Wunder.
Dass Raj die kleinlaut gepiepsten Antworten seines Vaters und seiner Brüder ebenfalls so gut vernahm, als stünde er mit ihnen im Beratungszimmer des Königs statt rund dreihundert Treppenstufen auf einhundert Schritt Höhendifferenz entfernt im achtzehnten Turm zu liegen, das war hingegen bemerkenswert. Seine Sinne waren völlig berauscht von dem, was er plötzlich alles wahrnahm. Was er hörte, sah und trotz gebrochener Nase riechen konnte, war ein Vielfaches seiner bisherigen Erfahrungen dieser Welt. Es schien, als würde die zweite Wandlerseele ihm Fähigkeiten schenken, die noch weit jenseits dessen lag, was einem Wolf allein möglich war. Ähnlich wie der Altehrwürdige es von sich angedeutet hatte. Diese Flut von Sinneseindrücken war es vor allem, die ihn wie erschlagen daliegen und alles geschehen ließ. Er musste schleunigst lernen, sich ein wenig davon abzuschotten, sonst würde es ihn womöglich den Verstand kosten – schlafen war ihm im Augenblick trotz des
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