Der 7. Tag (German Edition)
nämlich wissen, meine Freundin
Lucie und ich sind in Mahlow geboren. Jetzt leben wir in Lübeck. Aber wir
wollten noch einmal unser altes Haus sehen. Da wohnen ja jetzt Ostdeutsche
drin.“
Elise Baltus ist die nächste Zeugin, die „zur Sache“
vernommen wird. Sie hat an dem bewußten Abend am Nebentisch in der Gaststube
meines Hotels gesessen. Ich kann mich an Elise und Lucie nicht erinnern, ich
hatte andere Sorgen, als alte Damen zu beobachten.
„Die Frau war sehr nervös. Sie hat ständig mit den Fingern
auf den Tisch getrommelt. Das war wirklich unangenehm. Lucie, habe ich zu
meiner Freundin gesagt, Lucie, lass uns an einem anderen Tisch sitzen, ich
werde ganz kirre von deren Getrommle. Aber meiner Freundin war das peinlich,
sie ist immer so heikel.“
Michael saß auf seinem Koffer vor meiner Apartmenttür in
Atlanta, als ich drei Tage nach meinem nächtlichen Hilferuf nach Hause kam. Ich
flog heulend in seine Arme. Wir haben geredet und geredet. Also eigentlich habe
wie immer ich geredet und Michael hat zugehört. Er hat mir nicht zu oder
abgeraten. Er hat nicht gesagt, es ist Deine Entscheidung, ich mache mit. Er
hat mir nicht angeboten, mich zu heiraten. Er hat mir nur zugehört. Dann ist er
aufgestanden, hat sich aus dem Eisschrank eine neue Flasche Cola geholt und
gesagt:
„Ich komme um vor Hunger. Lass uns was essen gehen.“ Das war
typisch Michael. Er war so unendlich praktisch und es machte mich unendlich
wütend.
„Verdammt“, habe ich geschrien, “wie kannst du an Essen
denken, ich muss die wichtigste Entscheidung meines Lebens treffen.“
„Ja“, sagte Michael, „sicher. Aber nicht mehr heute Abend.
Lass uns essen gehen.“
Bei „Shooneys“ fiel mir auf, wie egoistisch ich war. Der
arme Kerl hatte einen elf Stunden Flug hinter sich und einen Bärenhunger. Und
das alles für eine plärrende Tussi, die ein Kind von ihm bekam. Ich habe es ihm
gesagt. Er hat nur genickt und dieses Lächeln gelächelt, das ich so sehr an ihm
geliebt habe.
„Bille“, sagte er auf dem Nachhauseweg, „lass dir Zeit.
Weißt du, ich habe für mich ein Lebensmotto – tue nichts in der Euphorie und
nichts aus Verzweiflung.“
Ach Michael, warum hast du dich daran nicht gehalten.
Jetzt hat Wolfram Günther seinen großen Auftritt. Ich könnte
beeiden, ihn noch nie gesehen zu haben. Aber er mich. Nämlich an diesem
unglückseligen Abend in Mahlow. Er war ebenfalls Gast. Ich erfahre, dass er
Vertreter für Getränkeautomaten ist. Was wetten wir Ulli, der Staatsanwalt hält
ihn bestimmt für einen Profi im Beurteilen des Nüchternheitsgrades anderer
Personen. Ich jedenfalls halte ihn für einen Profi im Trinken. Seine rote Nase
kann unmöglich von einem Schnupfen herrühren.
Auch Profitrinker Günther erinnert sich an mich. Ich hätte
so verzweifelt ausgesehen. „Ja, sie hat ziemlich viel getrunken. Ständig hat
sie nachbestellt. Der Kellner kam kaum hinterher. Wieviel sie getrunken hat?
Na, bestimmt acht Bier und fünf Schnäpse. Natürlich war sie betrunken. Schauen
Sie sich das zarte Mädel doch mal an, die verträgt nix.“
Ulli lächelt mich an. Günther war unbezahlbar. Wahrscheinlich
hat er zu diesem Zeitpunkt einfach selbst doppelt gesehen.
Michael blieb eine Woche in Atlanta. Wir haben uns jede
Nacht geliebt, als sei es das letzte Mal. Ich habe während dieser Woche jede
Sekunde an unser Kind gedacht. Denn ich wusste jetzt gesichert, dass ich
schwanger war. Michael hatte mir in unserem nächtlichen Telefonat, praktisch,
wie er war, erst mal zu einem B-Test geraten.
Während dieser Woche erzählte Michael viel aus Berlin. Ulli
war jetzt ganz stolzer Vater. Ulli und Gabi renovierten ihr Haus in Dahlem. Ich
hatte solche Sehnsucht nach den beiden, nach Berlin, nach einem Leben mit
Michael. Am Ende dieser Woche stand mein Entschluss fest. Ich würde nach Berlin
fliegen, eine Abtreibung in Amerika kam für mich nicht in Frage.
Anfang September kam ich in Berlin an. Michael holte mich
vom Flughafen ab. Ich sollte bei ihm wohnen, damit ich das ganze Thema nicht
mit meinen Eltern besprechen musste. Er brachte mich sofort zu meinem
Frauenarzt am Kudamm.
Der stellte nur eine Frage: „Wollen sie das Kind haben?“
„Nein“, sagte ich entschlossen.
Er rief seiner Praxisfee zu, sie solle erstens einen Termin
bei pro familia für mich machen und zweitens eines seiner Belegbetten in der
West-Klinik Dahlem reservieren.
Micha hat mich zu pro familia gefahren, wo ich eine Beratung
zu Gunsten
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