Der 7. Tag (German Edition)
des Lebens erwartete. Stattdessen gaben sie mir einen Stempel auf
diesen Schein, den mein Onkel Doktor mir mitgegeben hatte. So einfach war das
und ich war empört.
„Du kannst noch zurück“, sagte Michael beim Abendessen.
„Nein.“
Als letzten Zeugen rufen sie heute Ortwin Bayer,
Dachdeckergehilfe, auf. Schon wieder einer, den ich nie gesehen habe. Halt,
doch. An den kann ich mich erinnern. Weil er so schmutzig war. Der saß zusammen
mit einem anderen Mann im Monteuroverall an dem Tisch hinten in der Ecke. Ich
erinnere mich an die beiden, weil sie so laut waren und offensichtlich direkt
von einer Baustelle kamen.
„Det is se.“
Ja, Ortwin, det bin ick.
„Jesoffen hat se. Wat soll ick sonst sajen.“
Mitte September war ich wieder in Atlanta. „Mein
über alles geliebtes Mädchen“, hatte Michael zum Abschied gesagt und mir einen
Teddybären geschenkt.
„Das ist Alter Ego, der passt ab jetzt auf dich auf.“
Irgendwann muss Alter Ego geschlafen haben.
Dafür habe ich ihn erstochen.
Lokalzeitung
Lichtenrader
Küchenmesser-Mord im Suff?
Zeugen bestätigen: Sybille Thalheim hat getrunken
Moabit - Sie war nervös
und verzweifelt. War sie auch betrunken? Hat Sybille Thalheim im Suff ihren
Ehemann mit 18 Messerstichen niedergemetzelt? Am vierten Prozesstag gegen die
38jährige Angeklagte aus Zehlendorf waren sich die Zeugen zumindest in einem
einig: Sybille Thalheim war am Abend vor der Tat auffällig nervös. „Sie hat
nichts gegessen“, sagt der Kellner des Hotels, in dem die Angeklagte verhaftet
wurde. „Sie hat zu viel getrunken“, meint ein Gast. „Sie war total nervös“,
erinnert sich eine Dame, die neben ihr saß. „Sie war total betrunken“, weiß
Wolfram G.(46) aus Neubrandenburg. „mindestens acht Bier und fünf Schnäpse“. Die
schöne Angeklagte mit den sanften braunen Augen schweigt.
Der fünfte Prozesstag
Bisher ist der Prozess ganz gut für mich gelaufen. Aber was
heißt eigentlich gut. Ich habe fast so etwas wie sportlichen Ehrgeiz
entwickelt. Denn das Ergebnis ist mir eigentlich egal. Mein Leben ist so oder
so zerstört. Ob fünf Jahre für Totschlag oder lebenslänglich für Mord, mir ist
alles recht. Ulli ist auf dem besten Weg, fünf Jahre für mich rauszuholen.
Heute werden sie den ganz tiefen Griff in die Mottenkiste tun. Warnke wird
aussagen. Kommissar Helmut Warnke. Mein ständiger Begleiter in den letzten Jahren.
Ulli hat versucht, diesen Zeugen zu verhindern.
„Es geht bei diesem Prozess nicht darum, was Michael getan
hat. Es geht darum, in welchem Zustand du Michael erstochen hast. Wenn sie dir
nachweisen, dass du genug Gründe hattest, Michael zu töten, werden wir mit
Totschlag nicht wegkommen. Dann sind das Rachemotive für einen Mord. Und auf
Mord stehen wenigstens 15 Jahre bzw. lebenslänglich“, hat Ulli mir erklärt.
„Ulli, bitte, du kennst mich doch, ich rede doch viel, wenn der
Tag lang ist. Aber glaubst du wirklich, dass ich dazu fähig gewesen wäre,
Michael zu erstechen?“
„Es geht hier nicht darum, was ich glaube. Es geht einzig
und allein darum, dich hier so schnell wie möglich wieder raus zu bekommen.“
Nein, Ulli, darum geht es mir nicht. Aber das kannst du
nicht verstehen.
Weihnachten 2001 flog ich nach Hause, nach Berlin.
Heiligabend gab es Würstchen und Kartoffelsalat bei meinen Eltern. Wie herrlich
spießig sie doch waren. Mutti fragte immer wieder, wann Michael und ich endlich
heiraten würden, sie würden sich so sehr Enkel wünschen. Mein Vater meinte, ich
sei bescheuert, mich in Atlanta so abzuquälen, Michael würde doch bestimmt
genug verdienen, damit ich gar nicht zu arbeiten brauchte. Michael saß dabei
und lächelte dieses Michael-Lächeln.
„Sie platzen vor Stolz auf ihre entschlossene, erfolgreiche
Tochter“, sagte er auf dem Nachhauseweg.
Ich habe erst sehr viel später verstanden, dass er Recht
hatte.
„Mein Name ist Helmut Warnke. Ich bin der leitende Kommissar
in der Ermittlungssache Michael Thalheim.“
„Können Sie kurz den Fall Michael Thalheim zusammenfassen?“
fragt die Vorsitzende Richterin. Ich bezweifle, dass er das kann. Wollen wir
mal sehen.
„Nun, Michael Thalheim ist am 17. August 2007 nicht mehr
nach Haus gekommen. Am 19. August 2007 haben seine Frau, die Angeklagte Sybille
Thalheim und ihre Mutter, Renate Wiegand, Vermisstenanzeige erstattet. Eine
Woche später hat der Anwalt Ullrich Henke, der mit Michael Thalheim
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