Der 7. Tag (German Edition)
nächsten Tag einen Besuch abzustatten. Nein, Ulli,
keine Angst, das werde ich nicht erzählen.
Zwei Wochen nach deiner Hochzeit wurdest du Vater und ich
Patentante. Lisa und Nora haben so gar nichts von Gabis zurückhaltendem
Temperament, wohl aber von deinem geerbt. “Das gibt gesunde Lungen“, sagte Gabi
achselzuckend, wenn die beiden mal wieder aus Leibeskräften brüllten. Gabi
versank in Mutterpflichten und ich in Zukunftsplänen. Ende Juli sollte ich
meinen Job in Atlanta antreten.
Seit der Hochzeit hatten Michael und ich nicht mehr über
Amerika gesprochen. Er tat, als sei nichts passiert und ich machte mich auf die
Suche nach einem Nachmieter. Meine Klamotten konnte ich für das Jahr, das ich
nicht in Deutschland sein würde, bei meinen Eltern unterstellen. Je näher meine
Abreise rückte, desto größer wurde mein Kloß im Hals.
Es war Mitte Juni, wir waren im „Bovril“ zum Abendessen
verabredet. Michael erwartete mich bereits, als ich, wie immer zu spät, den
Kurfürstendamm herunterstürmte. Er nahm mich zärtlich in die Arme und bestellte,
ohne mich zu fragen, Champagner.
„Gibt’s was zu feiern?“, fragte ich erstaunt.
Mit ernster Miene griff Michael in seine Jackentasche und
holte einen Umschlag hervor, den er mir überreichte. Er enthielt zwei
Flugtickets nach Miami.
„Du brauchst ein bisschen Urlaub, bevor ich dich in die
Höhle des Löwen lasse“, sagte Michael. „Ich werde dich nach zwei Wochen braun
gebrannt und gut erholt in Atlanta abliefern.“
„Du bist mir nicht mehr böse?“ fragte ich ängstlich.
„Bille, hör mir zu. Ich war dir nie böse. Ich werde dich
jede Sekunde vermissen. Aber wir werden dieses Jahr überstehen, ich glaube an
uns.“
Und dann saß ich da, auf der Straßenterrasse des Bovril,
mitten auf dem Kurfürstendamm, und heulte wie eine Fünfjährige. Michael reichte
mir mal wieder ein Taschentuch.
Frau Schmidt wechselt sich im Zeugenstand mit ihrem Ehemann
ab. Ein richtiges Familienhotel. Na, ja. Jetzt ist Alfred dran, ihr Angetrauter
und stolzer Eigner des Lichtenrader Etablissements. Er erinnert sich natürlich,
dass ich angerufen habe, um Michaels Zimmernummer herauszubekommen.
„Am Abend vor dem Mord hat irgend so ein Büro für Herrn
Thanner angerufen. Sie haben gesagt, dass er eine dringende Lieferung erwartet,
die ihm unbedingt persönlich ausgehändigt werden muss. Die Frau wollte
unbedingt die Zimmernummer wissen, damit der Bote das Paket auch richtig
zustellen kann. Ich habe das Herrn Thanner, der ja wohl gar nicht Thanner,
sondern Thalheim hieß, natürlich erzählt. Er ist ziemlich blass geworden, als
ich gesagt habe, es hätte ein Büro für ihn angerufen. Da ist was nicht ganz
koscher, habe ich noch gedacht.“
Natürlich hatten sie diese Anrufe mit Nummern gespeichert.
Und siehe da, beide Anrufe kamen aus meinem Hotel im Nachbarort Mahlow. Tja,
Ulli, das war’s wohl für heute.
Florida: Michael und ich standen schwitzend in der Schlange
vor der „World of Motion“ im Epcot Center in Orlando. Michael umarmte mich von
hinten und flüsterte mir ins Ohr: „Wenn du mir versprichst, dass du die beste
PR-Tussi der ganzen Welt wirst, werde ich auf dich warten“.
„Ich werde die verdammt beste PR-Tussi auf der ganzen Welt
werden, das verspreche ich dir. Aber ich glaube dir kein Wort.“
Wir zogen uns gegenseitig mit den Verlockungen und Gefahren
auf, die auf uns warten würden.
Und dann kam alles ganz anders.
Lokale Tageszeitung
Erdrückende Beweislast
im Thalheim-Prozess
Angeklagte spionierte Ehemann aus
Moabit - Sybille Thalheim hat ihren Ehemann Michael
Thalheim ausspioniert. Das ergab die Vernehmung von Zeugen am dritten
Prozesstag vor dem Schwurgericht Berlin.
Der 38jährigen ehemaligen Konzernsprecherin wird
vorgeworfen, ihren Ehemann Michael Thalheim im vergangenen Februar mit 18
Messerstichen in einem Lichtenrader Hotel getötet zu haben. Durch ihre eigenen
Recherchen legte sie eine Spur, die die Polizei innerhalb von drei Stunden nach
der Entdeckung der Leiche zu der Angeklagten führte. Die im Hotel eingehenden
Anrufe waren gespeichert worden und konnten so zu der Angeklagten
zurückverfolgt werden.
Sybille Thalheim schweigt weiterhin zu den
Vorwürfen. Der Prozess wird am Montag, den 30. August, in Moabit fortgesetzt.
Der vierte Prozesstag
Ich möchte wirklich gern wissen, was in seinem Kopf vorgeht.
Der Richter mit den zusammengewachsenen Augenbrauen scheint manchmal gar nicht
richtig
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