Der 7. Tag (German Edition)
erinnere mich an einen Besuch, den ich Frau Thalheim vor
circa einem Jahr abgestattet habe. Sie schrie mich an: Wenn ich den Kerl
kriege, bringe ich ihn um.“
Ich wusste doch, dass du dich daran erinnern wirst.
Auf der Rückfahrt nach Atlanta haben wir die Tage
gezählt, bis ich wieder in Berlin sein würde. Ich weiß noch, es waren genau 72
Tage. Michael machte eine Vollbremsung. „Verdammt, ich habe etwas vergessen“,
murmelte er.
Er stieg aus dem roten Chrysler Cabrio und öffnete den
Kofferraum. Mitten auf der Landstraße in Georgia. Das hier war ein anderes
Georgia, als ich es in Atlanta kennen gelernt hatte. Hier gab es keine
chromglitzernden Glaspaläste, sondern, versteckt hinter üppiger Vegetation,
heruntergekommene Holzhäuser und Mobile Home-Parks, die von der Armut der
Bewohner des Südens erzählten.
„Was ist?“ fragte ich erstaunt.
Er stieg wieder ein, lächelte hintergründig und gab mir ein
Päckchen.
„Ich könnte mich ja vielleicht auf die Suche nach einer
größeren Wohnung machen“, meinte er.
In dem Päckchen war ein Brillantring.
„Bist du verrückt?“ fragte ich ihn.
„Wieso, wir werden einfach mehr Platz brauchen, wenn du in
72 Tagen zurück bist.“
„Das meine ich nicht, ich meine den Ring.“
„Ach so und ich dachte schon, du willst nicht meine Frau
werden?“ sagte Michael und schaute angestrengt geradeaus aus dem Fenster.
„War das ein Heiratsantrag?“
„Was sonst, du Doofkopp.“
„Äh, ja“, sagte ich und streifte mir den Ring über.
„Heißt das, du willst“, fragte er, immer noch
geradeausguckend.
„Na klar, Doofkopp.“
Und dann gab Michael Gas. Er raste wie ein Bekloppter die
Landstraße entlang und hupte.
„Sie will meine Frau werden. Leute, hört ihr, sie will meine
Frau werden, sie will, sie will, sie will.“
Wir haben Tränen gelacht.
„Sei still“, habe ich gesagt, „hier versteht dich sowieso
keiner.“
Was nicht ganz stimmte, denn in diesem Moment wurden wir von
einem Polizeiwagen angehalten.
„Everything’s okay, man, she wants to marry me“, versuchte
Michael sein ungebührliches Verhalten zu erklären.
„Oh boy, good luck, but be carefull, it’s dangerous“, sagte
der Polizist und fuhr grinsend davon.
Wie Recht er doch hatte.
Boulevard-Zeitung
Sybille Thalheim: „Ich
bringe ihn um.“
„Wenn ich ihn kriege, bringe ich ihn um.“ Das hat
Sybille T., 38 aus Berlin bereits vor einem Jahr angedroht. Der Ehemann der
Angeklagten im Lichtenrader Küchenmessermord war im August 2007 spurlos
verschwunden. Die Fahndung der Polizei nach den von ihm unterschlagenen 9,6
Millionen Euro blieb bis heute erfolglos. Michael Thalheim war im Februar 2009
mit 18 Messerstichen in einem Lichtenrader Hotel getötet worden. Am fünften
Prozesstag sagte der in der Betrugsaffaire ermittelnde Polizeibeamte, Sybille T.
habe ihm gegenüber mehrfach Tötungsabsichten geäußert. Der Prozess wird fortgesetzt.
Der sechste Prozesstag
Ich habe rasende Kopfschmerzen. Lieber Gott, lass diesen Prozess
bald vorbei sein. Die Schöffin mit dem herzförmigen Mund sieht auch aus, als
ginge es ihr heute nicht ganz so gut. Wahrscheinlich hat sie die halbe Nacht irgendeiner
Freundin die grausige Geschichte der Sybille Thalheim erzählt und dabei zu viel
Asti Spumante getrunken.
Auch Ulli zeigt erste Müdigkeitserscheinungen. Nach Warnkes
Aussage sieht es nun wirklich nicht gut aus. Wie die Zeitungen das wieder
genüsslich breitgetreten haben. Heute steht ein absoluter Zeugenmarathon bevor.
Sie wollen meinen Charakter darstellen. Ich bin gespannt.
Noch als ich in Atlanta war, wurde mir ein Job in der neu
geschaffenen Presseabteilung des Konzerns in Berlin angeboten. Ich jubilierte.
Endlich konnte ich darangehen, meinen Traumberuf auszuüben. Und ich würde damit
ganz ordentlich verdienen. Für den Anfang.
In meinen letzten 72 Tagen in Atlanta schwebte ich auf
Wolken. In unseren täglichen Telefonaten schmiedeten Michael und ich
Zukunftspläne. Wo wir heiraten wollten, wo wir wohnen wollten, wie wir wohnen
wollten, was wir erreichen wollten. Es war die schönste, die unbeschwerteste
Zeit meines Lebens. Wir lebten in der Zukunft, die nach einer goldenen aussah.
Sie haben Kai-Uwe Blom eingeladen, meinen ehemaligen Chef im
Konzern. Es wundert mich, dass er die Traute hat, sich hier vor der
Öffentlichkeit zu präsentieren. Wahrscheinlich konnte er nicht anders. Denn
eigentlich ist für den Konzern jede Berührung mit
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