Der 8. Februar (German Edition)
Papa war wütend, weil es jetzt zu spät war sie aufzuhalten. Eine Minute danach hörten wir, wie ein Geschoss in eines der oberen Fenster einschlug. Kurz darauf kamen Großmutter Paulines Hilferufe. Ohne zu zögern rannte Papa mit zwei Polen die Treppen hinauf. Wir anderen warteten mit Bestürzung. Es dauerte nicht lange, bis die Männer mit Großmutter Pauline zurückkamen. Man trug sie schwerverletzt in den Keller, legte sie auf das Behelfsbett und verband sie notdürftig. Eine Kugel hatte sie am Arm getroffen, der blutete, aber sie war nicht lebensgefährlich verletzt. Bei dem Einschlag waren Glassplitter durch den Raum gewirbelt worden und sie war unglücklicherweise von mehreren getroffen worden. Für mich war das ein unbeschreiblicher Schock und ich konnte nichts für sie tun. Fast gleichzeitig wurde plötzlich die Kellertür aufgerissen und laute russische Befehlsschreie forderten uns auf, nach oben zu kommen. Wir waren insgesamt nur etwa eine halbe Stunde im Keller. Ein paar Polen machten den Anfang, denn sie standen der Treppe am nächsten. Ohne sich umzudrehen gingen sie hinauf, es wurde nicht gesprochen. Papa hielt mich an der Hand und nachdem etwa fünfzehn weitere Polen nach oben gegangen waren, war die Reihe an uns. Ich spürte meine Knie nicht mehr und klammerte mich an Papa. So gingen wir gemeinsam nach oben. Dort eröffnete sich uns ein völlig neues Bild: es war hell und furchteinflößend. In der vorderen Diele stand unser Gartentisch, und einige Soldaten saßen auf den dazugehörigen Stühlen. Sie befahlen uns, unsere Ausweise hinzulegen, während andere mit Gewehren im Anschlag jeden abschätzten, der die Kellertür passierte. Papa legte seinen polnischen Ausweis vor und wurde dabei herablassend angeschaut. Als sie mich ansahen, schaute ich zu Boden und Papa zog mich weiter. Nach uns kamen weitere Polen, die genauso behandelt wurden. Mama kam mit Ursula unter polnischen Frauen etwas später, Ruth dann mit anderen Polinnen.
Nach dieser ersten Kontrolle standen wir alle im verschneiten Hof, getrennt nach Männern und Frauen. Es war weit unter Null und wir froren wie nie zuvor. Der Schrecken fand kein Ende als sehr schnell Maschinengewehre aufgestellt wurden und ich eine Todesangst bekam, weil ich befürchtete, man würde uns alle erschießen. Sollte es das gewesen sein? Alle waren still, keiner bewegte sich. Ich hielt immer noch Papas Hand, so fest ich konnte.
Plötzlich donnerte es los und im ersten Moment wusste ich nicht, was geschah. Ich hatte die Augen geschlossen, wurde aber nicht getroffen. Darauf öffnete ich sie und sah, was vor sich ging. Die Kugeln galten nicht uns, sondern es wurden die Schlösser der Ställe und Scheunen aufgeschossen. Ein schnelles Aufatmen für uns. Einige Soldaten zertrümmerten Papas Jagdgewehre auf den Steinen der Verandatreppe, die sie aus dem abgeschlossenen Gewehrschrank im Büro geholt hatten,.
Die noch verbliebenen Pferde wurden aus dem Stall geführt, und drei Soldaten schwangen sich darauf. Der Hengst war noch nicht zugeritten, stieg mit den Vorderbeinen hoch und drohte durchzugehen. Er wurde von den Russen mit einem Spaten geschlagen bis er schwerverletzt und blutend am Boden lag. Sie zerrten ihn wieder hoch und führten ihn gewaltsam vom Hof.
Inzwischen hatte jemand unsere Großmutter wieder nach oben gebracht. Ich konnte nicht anders, löste mich aus der Gruppe und schlich die Treppe hinauf. Die Tür zu ihrer Wohnung war nur angelehnt und ich hörte ihr schweres Atmen. Meine geliebte Großmutter lag in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa und sah mich stumm und hilflos an. Ich hielt den Türgriff fest in meiner Hand und traute mich nicht zu ihr hinein, denn wir durften ja nicht deutsch sprechen oder in dieses Haus gehören. Sie hätte vielleicht deutsch gesprochen und damit alles verraten. Unsere Blicke trafen sich, ich war wie gelähmt und hätte beinahe mein Bewusstsein verloren. Ich wusste nicht, ob es ein Abschied für immer sein würde, obwohl ich ein scheußliches Gefühl im Magen verspürte. Wie gerne wäre ich zu ihr gegangen und hätte ihr geholfen. Ich bedauerte es, dass ich noch so klein war. Dann drehte ich mich um und ging langsam die Treppe hinunter. Jede Stufe nahm ich nur zögernd, vielleicht wartete ich noch auf eine rettende Eingebung und als sie nicht kam, ging ich schweren Herzens wieder nach draußen. Mittlerweile war es Nachmittag und wir wurden alle in eine Scheune gegenüber des Wohnhauses verwiesen, wo
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