Der 8. Februar (German Edition)
mich manch traurige Nacht,
Hab´ so lang nicht gesehn, wie mein Kind mir gelacht
Und Haus und Hof auf der Hallig.
So höre denn, Jasper, was ich dir sag´:
Es ist gekommen ein böser Tag,
Ein böser Tag für die Hallig;
Auch die Schafe und Lämmer sind fortgespült,
Auch dein Haus ist fort, deine Wurt zerwühlt;
Was wolltest du tun auf der Hallig?
Doch sollst du nicht hin, vorbei ist die Not,
Dein Weib ist tot, und dein Kind ist tot,
Ertrunken beid´ auf der Hallig.
Auch die Schafe und Lämmer sind fortgespült,
Auch dein Haus ist fort, deine Wurt zerwühlt;
Was wolltest du tun auf der Hallig?
Ach Gott, Kapitän, ist das geschehn!
Alles soll ich nicht wiedersehn,
Was lieb mir war auf der Hallig?
Und ihr fragt mich noch, was ich dort will tun?
Will sterben und im Grase ruhn
Auf der Hallig, der lieben Hallig.
Hermann Allmers, 1821-1902
Wenn ich heute darüber nachdenke, kann ich es nicht verstehen, warum man einem Kind, das gerade den Krieg überlebt hatte, ein solches Gedicht gab. Hatte denn da niemand nachgedacht? Der Vikar bemühte sich sehr um die Integration der Vertriebenen. Wir waren wohl die einzigen Katholiken und haben so am meisten profitiert. Er gab mir zusätzlichen Religionsunterricht und so konnte ich im Herbst zur Kommunion gehen. Eine Klassenkameradin schenkte mir eine Schüssel mit frischem Obst und Frau Laudage backte einen Kuchen, den wir uns schmecken ließen. Ich trank dazu ein Glas Milch und fühlte mich wieder ein Stück mehr zugehörig zu meiner neuen Umgebung. Ich war glücklich.
Die Feste in Rimbeck waren hauptsächlich kirchlich. Weihnachten 1946 gab es eine Feier für die Heimatvertriebenen im Saal der Gastwirtschaft Laudage mit der Musikgruppe der Jungen. Sie waren vierzehn bis achtzehn Jahre alt und spielten Gitarre, Mandoline und Schlagzeug und wurden von Vikar Weber unterrichtet.
Es gab keinen Weihnachtsbaum bei Laudages, wo hätte der auch stehen sollen? Im Wohnzimmer, wo Herr Laudage auch seinen Schreibtisch stehen hatte, wurde nicht geheizt, weil es nicht ausreichend Brennstoff gab. Der einzige warme Platz war in der Küche, da der Herd mit Holz befeuert wurde. Deshalb konnten wir nichts für das Wohnzimmer entbehren. So gab es nur einen kleinen Kranz aus Tannenzweigen mit einer Kerze in der Mitte. Für uns war es schon das zweite Weihnachten ohne Papa, Laudages hatten ihren Sohn verloren, und so feierten wir in aller Stille. Es war wieder eine kalte Winternacht.
Aus Sachsen kam ein Paket von Köhlers (Ursel und Marianne waren abwechselnd bei uns in Heidau beschäftigt gewesen), und Mama gab mir ein Fotoalbum, das in dem Paket war. Sehr viel später bekam ich hin und wieder ein Foto zum Einkleben, denn wer eine Kamera besaß, hatte nicht unbedingt einen Film dafür. Ich jedenfalls hatte keinen Fotoapparat und so gab es über viele Jahre keine Fotos von uns. Das Album von damals habe ich noch heute.
Geburtstage wurden in Rimbeck nicht gefeiert, sondern nur Namenstage. Außer mir hieß niemand Ingeborg, und im Heiligenkalender waren nur meine beiden anderen Vornamen aufgeführt, die galten aber nicht. Heute steht Ingeborg unter dem 30. Juli. Die heilige Ingeborg war eine schwedische Prinzessin, die einen französischen König heiratete. Hätte ich das nur damals gewusst!
Wirtschaftlich ging es weiterhin schlecht. Alles, wofür die Vertriebenen arbeiteten, reichte nur zum Wohnen und Essen, es konnte nichts gespart werden. Die Städter kamen immer noch in die Dörfer und tauschten alles Mögliche gegen Essbares. Sie waren in einer wirklich schlimmen Lage. Frau Laudage tauschte nie etwas mit ihnen, jeder, der wollte, und solange der Vorrat reichte, bekam einen Teller Suppe aus dem großen Topf ohne Gegenleistung. Da war dann abends weniger drin für uns alle, so wurde die Suppe mit heißem Wasser gestreckt und wir aßen eine Scheibe Brot dazu. Es gab noch eine Familie in Rimbeck, die nur gab und nichts nahm. Die Hausfrau starb an Tuberkulose, zwei Kinder hatten die gleiche schwere Krankheit. Sie gaben zuviel, alles. Nicht allzu lange danach starben auch sie. In dieser Zeit konnte man viel über das Zusammenleben und die Menschen selbst lernen. Diejenigen, die selbst nicht viel hatten, teilten mehr als alle anderen.
Mama ließ sich einmal bei der Feldarbeit dazu hinreißen, von Heidau zu erzählen und erntete damit nur Hohn und Spott, als sie die Wahrheit sagte auf die Frage, wieviele Pferde sie dort gehabt hätte. Sie schwor
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