Der 8. Februar (German Edition)
nicht einmal ein Huhn. Wir bekamen Lebensmittelmarken und gingen damit das Nötigste einkaufen. Diese Marken wurden im Laden abgegeben und wir mussten mit unserem Geld bezahlen. Auf den Marken stand zum Beispiel 100g Butter, 1kg Brot, 200g Schweinefleisch.
Mama machte sich mit mir auf den Weg von Scherfede nach Warburg. Wir fuhren erst mit der Bahn und gingen dann zu Fuß von einem Ende der Stadt zum anderen. Unser Pfarrer Hirschmeyer, der mit dem gleichen Transport aus Schlesien gekommen war, hatte bei den Schulschwestern ein Zimmer bekommen. Zu ihm gingen wir und Mama trug ihm unser Anliegen vor. Die Schulleiterin hörte sich unser Problem an und erklärte sich bereit, mich kostenlos aufzunehmen, wenn ich die geforderte Leistung brächte.Das Schulgeld betrug zwanzig Reichsmark im Monat, dann kamen noch die Kosten für die Bahnfahrt dazu, anfangs 2.20, später 4.40 RM. Das war schon zuviel für Mama, die nur 39 RM monatlich für vier Personen bekam. Davon sollte sie noch 9 RM Miete für einen neun Quadratmeter großen Raum an Laudages abgeben, der uns zugewiesen wurde. Deutsche Familien mit Wohnraum mussten per Gesetz Vertriebene aufnehmen. Wir hatten sehr viel Glück mit der Familie und sie nahm unser Geld aus Freundlichkeit nicht an. Frühstück und Abendessen gab es in unserem kleinen Zimmer. Dank Mamas Arbeitseinsatzes blieb der Erfolg nicht aus: wir bekamen warmes Mittagessen am Tisch der Hauseigentümer und wenn ich später aus der Schule kam, mein Zug hielt immer um 14.40 Uhr in Scherfede, dann musste ich noch nach Rimbeck laufen, stand mein Teller schon in Laudages Küche. Mama und Ursula schliefen in einem westfälischen Bett, ich in einem Eisenbett auf der anderen Seite des Tisches, an dem ich auch meine Schularbeiten machte. Es gab nur Platz für einen Stuhl, wir Kinder saßen auf den Betten. Ein Wehrmachtsspind und ein eiserner Ofen vervollständigten die spärliche Einrichtung. Der Spind war ausreichend, wir hatten ohnehin nichts. Matratzen gab es keine, dafür Strohsäcke auf Latten. Wie schon erwähnt, gab es Lebensmittel nur auf Marken, Geld allein hatte bis zur Währungsreform 1948 keinen Wert. Die Lebensmittelmarken dagegenhatten einen fast unschätzbaren Wert. Eines Tages standen Mama, Ursula und ich schon vor Ladenöffnung in einer Schlange vor der Metzgerei an, und wir hörten die Großmutter rufen:
„Erich, mach den Laden auf, die Polacken stehen schon vor der Tür!“
Wir waren doch Deutsche und wurden nun abfällig als Polen bezeichnet. Ich war verwirrt. War es unsere Schuld, dass wir vertrieben worden waren? Nach einem halben Jahr bekam Ruth Arbeit bei der Firma Eschke, einer keramischen Werkstatt. Laudages ließen ein Bett beim Schreiner Gieseler machen und stellten es in Elisabeths Zimmer.
Liesel Jüttner, die im Februar des Vorjahres schwerverletzt unter einem Berg Leichen geborgen worden war, war auch bei unserem Transport in den Westen dabei. Sie arbeitete dann noch eine Weile, heiratete Richard Baumert und bekam zwei Töchter und einen Sohn mit ihm. Sie wurde nach wenigen Jahren in ein Pflegeheim eingewiesen, der erlittene physische und psychische Schaden war einfach zu groß und es war ihr unmöglich, die Vergangenheit zu verarbeiten. Nach der Währungsreform, als es keine Marken mehr gab, gingen alle Flüchtlinge und Vertriebene zu den Metzgereien in Scherfede. Wir hatten wieder regelmäßig zu essen. Wer noch nie hungerte, kann sich das Gefühl nicht vorstellen, was das für uns bedeutete. Mama molk jeden Tag Laudages Kuh und bekam einen Liter Milch und zwei Eier dafür. Ursula und ich bekamen dann jeweils ein Ei auf unsere Schulbrote.
Endlich konnte ich wieder in die Schule gehen! Ich liebte diese Schule. Am ersten Tag ging ich mit Zita Fischer, die ich schon kennengelernt hatte, in die Klasse 1a, die nur aus katholischen Schülerinnen bestand. Die 1b bestand aus katholischen und evangelischen Schülerinnen, wobei der Religionsunterricht nur von katholischen Schülerinnen besucht wurde. Ich war die 42. Schülerin und musste mich in die letzte Reihe setzen. Es war eine durchgehende Bank und ich fühlte mich nicht besonders wohl am Anfang. Ich war unter Druck, meine Leistungen mussten gut sein und je weiter hinten man sitzt, desto schwieriger ist das Konzentrieren. Ich passte auf meine Mitschülerinnen auf. Marietta und die beiden Körings waren in meiner Klasse und so alt wie ich, Zita und Ingrid ein Jahr jünger. Wir alle fuhren vom Bahnhof Scherfede
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