Der 8. Tag
und in einiger Entfernung rannten zwei Hunde um ihre Besitzer herum, wobei sie gelegentlich ein Bellen der Lebensfreude ausstießen.
Ein kurzer, stechender Schmerz hinter ihren Augen ließ sie diese schließen und ihre Hände gegen die Schläfen pressen.
Glücklicherweise war niemand nah genug um ihren Aufschrei zu hören. Nicht aus Schmerz, sondern aufgrund dessen, was sie gesehen hatte. In dem Moment, als sie die Augen geschlossen hatte, herrschte nicht etwa Dunkelheit, sondern ihr drängte sich eine albtraumhafte Vision auf: Überall um sie herum lagen brennende Wrackteile, verkohlte und zerfetzte Körper, die wie der Auswurf der Hölle aussahen, persönliche Habseligkeiten aus aufgeplatzten Koffern und in der Luft hing ein dunkler, öliger Rauch.
Sie riss die Augen auf und an die Stelle der Vision trat wieder das Bild, das sie vorher gesehen hatte. Doch auch das schien sich verändert zu haben, nicht in irgendeiner feststellbaren Weise, sondern durch das Wissen, in was es sich verwandelt hatte. Da draußen gab es ein neues und fremdartiges Bewusstsein, eine alles durchdringende Präsenz, die sie überall um sich herum wahrnahm, selbst in der Natur, was aber lächerlich war, denn es handelte sich um ein elektronisches, künstliches Ding.
Künstlich? Was bedeutete das überhaupt? Auch dieser Park war etwas Künstliches; die Natur mähte nicht das Gras und legte auch keine Parkanlagen an. Und die Gebäude da hinter den Bäumen, die Labors, die sie gerade verlassen hatte, Häuser aus Stein und Ziegeln waren nicht weniger künstlich als Düsentriebwerke, Atomkraft oder Computerchips. Man konnte eine Erfindung nicht ungeschehen machen. Das wäre unnatürlich.
Doch sie hatte nichts erfunden. Das war genauso sicher wie sie am Leben war. Wissenschaft war eine Form von Entdekkung und kein Schöpfungsakt. Intelligenz war nichts, was über der Natur stand, im Gegenteil, sie entwickelte sich daraus. Und der Mensch war nicht irgendetwas davon Abgelöstes, seine eigene Schöpfung, Herr seines Schicksals, er war nur ein Ausdruck von Kräften, die er, so sehr er sich auch anstrengen mochte, absolut nicht verstand.
Sie presste die Finger auf die Mitte ihrer Stirn, als ob sie den Schmerz zurückdrängen wollte. Diesmal ging es weniger um ihre Kopfschmerzen als vielmehr um einen plötzlichen Anflug von Selbstvorwürfen, dass sie sich solchen unsinnigen Gedanken, die zu nichts führten, hingegeben hatte. Im Innersten wusste sie, dass diese Gedankenspielereien nur ein Trick waren um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Sie war für diese Toten genauso verantwortlich, als wenn sie eigenhändig Bomben in beide Flugzeuge installiert hätte. Der Tod ihres ungeborenen Kindes war in gleicher Weise ihre Schuld. Es gab keinen Weg sich der Verantwortung zu entziehen und es war falsch, es auch nur zu versuchen.
Der schrille Ton des Handys in ihrer Jackentasche schreckte sie auf. Während sie es aus der Tasche zog und an ihr Ohr hielt, erhob sie sich von der Bank.
»Hallo?« Sie versteifte sich, wie es jetzt immer der Fall war, wenn sie sich am Telefon meldete, und erwartete dieselbe metallische Stimme zu vernehmen, die sie zwei Sekunden lang in Berlin gehört hatte. Sie bedauerte jetzt, dass sie damals nicht mehr Geistesgegenwart besessen und mit dem Ding geredet hatte anstatt das Kabel aus der Wand zu reißen. Alles, was sie damit erreicht hatte, war dieses Ding noch in seiner unsinnigen Einschätzung, dass die Welt sein Feind war, zu bestärken.
Tessa hatte keine Ahnung, ob es wieder versuchen würde mit ihr Kontakt aufzunehmen, bevor es einen weiteren Mordanschlag gegen sie unternähme. Letzteres konnte allerdings als sicher angenommen werden, sobald sich die Gelegenheit dazu ergäbe, doch wenn sie vorher die Gelegenheit erhielte mit ihm zu sprechen, dann wäre sie besser darauf vorbereitet als das letzte Mal.
»Tessa? Ich hoffe, ich störe Sie nicht.«
Es war Jonathan Syme. Ihre Gefühle bewegten sich zwischen Erleichterung und Enttäuschung, dann das Erstaunen, dass er in dieser Situation in einem so aufmunternd beiläufigen Ton sprach.
»Nein, ist schon in Ordnung, Jonathan«, antwortete sie und versuchte genauso locker zu klingen. »Ich schnappe gerade auf dem Campus etwas frische Luft.«
»Es hört sich auch an als ob Sie im Freien wären. Trotzdem haben Sie das Telefon dabei? Bei den Göttern«, lachte er, »das ist aufopferungsvoll weit über Pflichterfüllung hinaus.«
Erst in diesem Augenblick fiel ihr ein, dass er
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