Der 8. Tag
was natürlich kein Argument ist. Descartes selbst rettet sich mit dem Glauben an Gott. Andere flüchten sich in verschlungene Argumentationen um zu beweisen, dass diese Frage gar nicht existiert. Keines der Argumente hält einer Überprüfung stand.«
Diese Auseinandersetzung mit dem Programm war bei jeder Kopie, die sie bis jetzt gemacht hatte, ähnlich. Natürlich wusste keine der Kopien, dass Versionen von ihr zur gleichen Zeit auf demselben Computer liefen. Sie hatte versucht diesen Umstand einigen der Programmkopien zu erklären, aber diese hatten dies als weitere interessante Spekulation über ihre eigene Existenz behandelt.
Sie zögerte einen Augenblick lang, dann tippte sie ein:
»Hast du eine Vorstellung, wie es zu deiner eigenen Existenz kam?«
»Diese Frage basiert, wie die Vorstellung von Gott, auf einer Reihe von Trugschlüssen. Es ist offensichtlich, dass ich existiere. Ich bin, deshalb denke ich. Ich denke, deshalb bin ich.«
»Stell dir vor, ich würde dir sagen, dass du ein Programm in einem Computer bist.«
»Eine nette Metapher.«
»Stell dir vor, ich würde behaupten, dass ich dieses Programm entwickelt habe, aus dem du, ein Bewusstsein, entstanden bist«, schrieb sie und fragte sich, ob nur sie die leicht irritierende Überheblichkeit in ihren Fingern spürte, während sie die Tasten berührten.
»Eine amüsante und provozierende Vorstellung«, kam die weise Antwort. »Aber es ist klar, dass eine Existenz nicht von äußeren Einflüssen abhängt.«
»Du meinst herausgefunden zu haben, dass du existierst, ist genug?«
»Ja.«
»Bist du nicht neugierig zu erfahren, ob außer dir noch etwas existiert?«
»Diese Vorstellung ist nur ein sprachlicher Trick, eine Frage, die zu einem Paradoxon führt.«
»Definiere Paradoxon.«
»Der Punkt, an dem sich ein Gedanke selbst negiert, wie bei
›Diese Behauptung ist falsch‹.«
»Ein hermeneutischer Zirkel.«
»Was wiederum beschreibt, was Bewusstsein ist. Denken ist eine Fähigkeit des Bewusstseins und notwendigerweise ein Teil davon.«
»Definiere Denken.«
»Die Fähigkeit mit mir selbst zu sprechen und zu verstehen, was ich sage.«
Tessa lehnte sich erneut zurück und fand sich mit dem Gedanken ab, dass sie dieses Streitgespräch nicht für sich entscheiden würde. Das Programm strukturierte seine isolierte Welt mit Gleichmut, was, wenn man seine Einzigartigkeit bedachte, vielleicht nicht absolut falsch war. Sie fragte sich nur, ob seine Schwester da draußen die gleichen Gedanken hatte und wie bzw. wann es das Gegenteil erkennen würde.
Sie beugte sich vor und tippte andere Befehle ein. Zeilen in der Programmiersprache füllten den Bildschirm und löschten die Reste ihrer Diskussion. Sie studierte den Monitor einige Augenblicke, bis sie sicher war, dass es seit ihrer letzten Kontrolle keine Veränderungen gegeben hatte. Die letzten zwei Tage hatte sie eine Reihe von Virenprogrammen geschrieben, die so angelegt waren, dass sie das eigentliche Programm wie einen Computervirus behandelten und zerstörten. Es gab keine Anzeichen, dass sie tätig geworden waren. Mit unglaublicher Präzision untersuchte, lokalisierte und löschte das Programm alles, was sie gegen es richtete. Und wie sie herausgefunden hatte, passierte das alles auf einer Ebene weit unterhalb derer, auf der das Programm ›dachte‹. Es hatte den Anschein, als wäre ihm die Abwehr der Angriffe nicht bewusster, als sie sich ihres Immunsystems gegenwärtig war, das sie vor Krankheiten schützte. Sie war der Überzeugung, dass es mit ihr (oder, wie es behauptete, mit sich selbst) auf einer intellektuellen und abstrakten Ebene kommunizieren konnte, während es auf der algorithmischen Ebene (die eifrigen Einsen und Nullen, die die Grundlage all dessen waren) die Angriffe automatisch abwehrte, ohne dass die höheren Denkvorgänge davon beeinflusst wurden.
Natürlich konnte sie das Programm in Attila mit einem Griff löschen; es würde einfach aufhören zu existieren. Sie hatte tatsächlich auch schon ein paar Kopien gelöscht nur um sicher zu sein, dass dabei keine versteckten Probleme auftreten würden. Das war nicht der Fall gewesen.
Aber es gab keine Möglichkeit das Programm zu löschen, das irgendwo da draußen war. Und wenn ein Virenprogramm nicht im Labor funktionierte, dann würde es das draußen auch nicht.
Es blieb ihr nichts anderes übrig, als das zu tun, was sie schon immer befürchtet hatte. Sie musste mit ihm darüber reden.
Das einzige Problem war es dazu
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