Der 8. Tag
und lehnte sich, die Arme verschränkt und die Füße übereinander gestellt, gegen das Fensterbrett. »Er muss nichts lernen, er fragt einfach seine Speicher ab – et voilà!«
»Das mit den Speichern ist nicht so einfach«, entgegnete Tessa. Wie auf einer Bühne stand sie selbstbewusst mitten im Zimmer. Sie machte ein paar Schritte zur Seite, bis sie ihr Spiegelbild nicht mehr im Fenster betrachten musste, die Hände hatte sie lose vor sich verschränkt. »Denk mal an folgende Situation: Du bist dir absolut sicher, dass du einen Namen, ein Zitat, ja selbst eine Melodie kennst, aber dir fällt es einfach nicht ein, wenn du es brauchst.«
»Das hier ist eine Maschine. Das geht doch bei ihr sicher automatisch?«
»Je mehr er lernt wie wir zu denken, desto weniger ist er eine Maschine.«
»Und verliert dabei sein Gedächtnis?«
»Er wird keine Alzheimer bekommen, wie auch die meisten von uns nicht, aber dennoch vergessen wir Dinge.«
Clive hob eine Augenbraue. »Er oder es? Wie nun endlich?«
»Was bedeutet ein Pronomen unter Freunden?« Tessa lächelte.
Er lächelte auch, zuckte dann mit den Schultern und sagte nichts mehr dazu.
»Das Gedächtnis«, fuhr sie fort und machte noch ein paar Schritte, wobei sie ihre Hände von vorne auf den Rücken nahm, »gewährleistet auf viele Arten die Identität und die Persönlichkeit. Die Dinge, an die du dich am besten erinnern kannst, sind am engsten mit dem verbunden, was du bist und was du tust.«
»Willst du damit sagen, ein Computer hat eine Persönlichkeit?«
»Ich sage, dieses spezielle Programm hat eine. Ich bin jetzt dabei ihm zu helfen sich selbst zu finden. Darum habe ich dich gebeten mit ihm zu sprechen.« Um den Computer auf das Gespräch vorzubereiten, hatte Tessa einige Stunden damit zugebracht, ihn mit der Literatur, beginnend mit dem Beowulf bis hin zum heutigen Tag, zu füttern und ihn dann Clive zu überlassen, der mit ihm diskutieren konnte, was er wollte. »Ich will wissen, wie er darauf reagiert, was er denkt, nicht, was er weiß«, hatte sie Clive gesagt.
Jetzt wusste sie, dass Paul Schwierigkeiten mit Lyrik hatte, doch eigentümlicherweise nicht mit Wordsworth und Coleridge. Die Metaphysik machte ihm großen Spaß, was Tessa nicht überraschte. Von den moderneren Autoren fand er Gefallen an Borges, Eliot und besonders an Beckett. Die Erinnerung daran ließ sie lächeln.
»Was hast du?«, wollte Clive, der sie beobachtet hatte, wissen.
»Ich dachte daran, wie er diese zwei Zeilen aus dem ›End-spiel‹ zitiert hat, wo Hamm fragt ›Was geschieht eigentlich?‹
und Clov sagt ›Irgendetwas geht seinen Gang.‹ Er erklärte, das würde genau beschreiben, wie er sich fühle, und du hast geantwortet, dass dies auf die meisten von uns zutrifft.«
»Ich hatte nicht den Eindruck, dass er mir geglaubt hat.«
»Nun, ich denke schon. Wenn er normalerweise aufhört zu diskutieren oder das Thema in der Art wechselt, wie er es getan hat, dann möchte er über das, was gesagt wurde, nachdenken.«
Schweigen breitete sich aus, währenddessen Clive die Verschränkung seiner Arme löste und dann die Hände in die Hosentaschen steckte. Er lehnte aber weiter an der Fensterbank.
»Also Tessa, was weiter?«, fragte er schließlich mit einem plötzlich ernsten Gesichtsausdruck. »Das ist ja eine faszinierende Angelegenheit, doch bringt sie uns einer Lösung der Probleme mit dem Ding da draußen näher?«
Sie bemerkte, dass er nicht gesagt hatte »das Ding, von dem du annimmst, es wäre da draußen«, sondern er akzeptierte jetzt ihre Version als Tatsache.
Sie nickte auch ganz ernst. »Ich bin davon überzeugt.« Sie zögerte, bevor sie weitersprach. »Möchtest du eine Tasse Tee oder Kaffee oder etwas anderes?«
»Ja, warum nicht. Tee bitte.«
Sie ging auf die Abstellkammer zu, die sich auf der einen Seite an das Labor anschloss. Er löste sich von der Fensterbank und folgte ihr in den kleinen Raum.
»Es gibt keine Möglichkeit ›dieses Ding da draußen‹ im üblichen Sinne zu zerstören«, stellte sie fest, während sie den Kessel am Wasserhahn füllte. »Die Arten von Such- und Eliminierungsprogrammen, die man auf normale Computerviren ansetzt, funktionieren hier nicht. Ich weiß es, denn ich habe es schon versucht.«
Sie drehte sich um und stellte erschrocken fest, dass er unangenehm dicht bei ihr stand.
»Also?«, fragte er und blickte ihr tief in die Augen, die Hände immer noch in den Taschen vergraben.
»Also muss ich etwas anderes versuchen.
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