Der 8. Tag
wirklich empfehlen diese Untersuchung zu machen. «
» Ich brauche keine Medikamente zu nehmen? «
» Mach dir keine Sorgen, sie wissen alle von deiner Allergie und au ß erdem ben ö tigt man dazu keine Medikamente. «
Im Alter von sechzehn Jahren hatte Tessa festgestellt, dass sie allergisch auf Penizillin reagierte. Das hatte sie ä ngstlich gegen ü ber allen Medikamenten werden lassen. Man konnte sie kaum dazu bewegen, ein Aspirin gegen Kopfschmerzen zu nehmen.
» Haben wir das Ergebnis sofort? «
» Nein, es dauert drei Wochen. «
» Mein Gott, gibt es keine M ö glichkeit die Sache zu b e schleunigen? «
» Leider nein. Tut mir Leid, Liebes. «
Tessa sagte eine Weile nichts, so als ob sie schon das Schlimmste akzeptiert h ä tte. Ihr Blick war auf einen Riss in der Wand beim Heizk ö rper fixiert. Sie hatte schon mit so etwas gerechnet, als Helen sie im Institut angerufen und sie gebeten hatte nach der Arbeit bei ihr vorbeizukommen. Tessa hatte gesp ü rt, dass Helen ihr auswich, als sie ihr sagte, sie k ö nne es nicht am Telefon besprechen, weil ein Patient wartete. Sie war schon fr ü h eingetroffen und musste vierzig Minuten warten, bis Helen im Behandlungszimmer fertig war. Sie hatte die Zeit damit verbracht, Helens und Clives ä ltestem Sohn Matthew im Warteraum bei den Mathematikhausaufgaben zu helfen. D a mit hatte sie die Zeit herumgebracht und es hatte ihr geholfen die Gedanken zu verdr ä ngen, bis Helens Sprechstundenhilfe ihren Kopf hereingesteckt und sie in das Behandlungszimmer gebeten hatte.
» Ich nehme an, selbst wenn die Fruchtwasseruntersuchung positiv ist, habe ich immer noch die Wahl, oder? «
» Nat ü rlich. «
» Die Wahl zwischen einem behinderten Kind und einer A b treibung. « Sie machte eine Pause. » Keine gute Wahl, oder? «
» Lass uns dar ü ber nachdenken, wenn es so weit ist. Wenn ü berhaupt. «
Tessa blickte von ihren Fingern auf, die sie in ihrem Scho ß verschr ä nkt hatte. » Du w ü rdest es bekommen, nicht wahr? Wenn du an meiner Stelle w ä rest? «
Normalerweise h ä tte Helen es abgelehnt, einer Patientin e i ne solche Frage zu beantworten, aber Tessa war mehr als eine Patientin und das Leid in ihren Augen erforderte eine An t wort.
» Ganz ehrlich, ich wei ß es nicht. Doch ich muss mich dem auch nicht stellen und du bis jetzt auch noch nicht. « Helen stand auf und kam um den Schreibtisch herum. » Bleib zum Abendessen. Clive isst im College, also bleiben nur ich und die Kinder ü brig. «
» Danke, aber ich muss noch ein paar Sachen fertig machen. Mir geht es gut, wirklich. «
» Ich wei ß . «
» Bitte vergiss nicht, dass ich n ä chste Woche nach Berlin muss. Meinst du, ich kriege den Termin noch vorher? «
» Ja, ich rufe dich morgen an. «
Ein paar Augenblicke sp ä ter h ö rte Helen Tessas Wagen die Einfahrt hinunterfahren, dann schaltete sie die Schreibtisc h lampe aus und ging hin ü ber in die K ü che, wo Marie-Pierre, das franz ö sische Aupairm ä dchen, wunderbare Dinge mit einem einfachen Eintopf anstellte.
Sie machte sich eine Tasse chinesischen Tee und trank ihn ohne Milch. Sie w ü rde unter Umst ä nden ein Glas Wein zum Essen trinken, doch trank sie h ö chst selten etwas vor dem Essen. Bis die Kinder eines nach dem anderen auftauchten, schaute sie sich irgendeine Nachrichtensendung im Fernsehen an und dann gingen sie gemeinsam in die K ü che um zu essen und miteinander zu reden.
Helen f ü hlte unter ihrer Zufriedenheit eine seltsame Unr u he brodeln. Sie hatte als Arzt und als normaler Mensch schon zu viel Ungerechtigkeit sehen m ü ssen um dar ü ber erstaunt zu sein. Wie dem auch sei, heute Abend w ü rde sie f ü r Tessa und das Kind, von dem sie hoffte, dass sie es behalten w ü rde, b e ten .
16
O HNE DIE MAUER war Berlin nicht mehr dasselbe. Tessa erkannte die Stadt kaum wieder, als das Taxi durch das Brandenburger Tor raste, hinein in das, was einmal Os t berlin gewesen war. Sie hatte die Stadt nur einmal vorher als Stude n tin in den fr ü hen Achtzigerjahren besucht und da war die Mauer der bestimmende Eindruck von Berlin gewesen. Das g ä nzliche Verschwinden der Mauer, wobei nicht einmal ze r br ö ckelte Ruinen oder ein Hinweis da r auf, wo sie fast drei ß ig Jahre lang gestanden hatte, z u r ü ckgeblieben waren, hatte etwas Surreales an sich.
Tessas Hotel war ein palastartiger Bau, der nicht so aussah, als h ä tte man in den letzten eineinhalb Jahrhunderten etwas daran gemacht, au ß er der vor
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