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Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch

Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch

Titel: Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
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fragten was sie tun müßten, damit ihre Untertanen friedlich regiert würden, zur Antwort geben: Nosce te ipsum, das ist, es sollte sich jeder selbst erkennen. Solches machte daß ich mich hintersann, und von mir selbst Rechnung über mein geehrtes Leben begehrte, weil ich ohnedas müßig war, da sagte ich zu nur selber: »Dein Leben ist kein Leben gewesen, sondern ein Tod; deine Tage ein schwerer Schatten, deine Jahr ein schwerer Traum, deine Wollüst schwere Sünden, deine Jugend eine Phantasei und deine Wohlfahrt ein Alchimistenschatz, der zum Schornstein hinausfährt und dich verläßt, ehe du dich dessen versiehest! du bist durch viel Gefährlichkeiten dem Krieg nachgezogen und hast in demselbigen viel Glück und Unglück eingenommen, bist bald hoch bald nieder, bald groß bald klein, bald reich bald arm, bald fröhlich bald betrübt, bald beliebt bald verhaßt, bald geehrt und bald veracht gewesen: Aber nun du o mein arme Seel was hast du von dieser ganzen Reis zuwegen gebracht? Dies hast du gewonnen: Ich bin arm an Gut, mein Herz ist beschwert mit Sorgen, zu allem Guten bin ich faul, träg und verderbt, und was das Allerelendeste, so ist mein Gewissen ängstig und beschwert, du selbsten aber bist mit vielen Sünden überhäuft und abscheulich besudelt! der Leib ist müd, der Verstand verwirret, die Unschuld ist hin, mein beste Jugend verschlissen, die edle Zeit verloren, nichts ist das mich erfreuet, und über dies alles bin ich mir selber feind. Als ich nach meines Vaters seligem Tod in diese Welt kam, da war ich einfältig und rein, aufrecht und redlich, wahrhaftig, demütig, eingezogen, mäßig, keusch, schamhaftig, fromm und andächtig; bin aber bald boshaftig, falsch, verlogen, hoffärtig, unruhig und überall ganz gottlos worden, welche Laster ich alle ohne einen Lehrmeister gelernet; ich nahm meine Ehr in acht, nicht ihrer selbst, sondern meiner Erhöhung wegen; ich beobachtet die Zeit, nicht solche zu meiner Seligkeit wohl anzulegen, sondern meinem Leib zunutz zu machen; ich hab mein Leben vielmal in Gefahr geben und hab mich doch niemal beflissen solches zu bessern, damit ich auch getrost und selig sterben könnte; ich sah nur auf das Gegenwärtige und meinen zeitlichen Nutz und gedachte nicht einmal an das Künftige, viel weniger daß ich dermaleins vor Gottes Angesicht mußte Rechenschaft geben!« Mit solchen Gedanken quälte ich mich täglich, und eben damals kamen mir etliche Schriften des Guevarae unter die Hände, davon ich etwas hieher setzen muß, weil sie so kräftig waren, mir die Welt vollends zu erleiden. Diese lauteten also:

Das 24. Kapitel
    Ist das allerletzte, und zeiget an, warum und welchergestalt Simplicius die Welt wieder verlassen
    »Adieu Welt, denn auf dich ist nicht zu trauen, noch von dir nichts zu hoffen, in deinem Haus ist das Vergangene schon verschwunden, das Gegenwärtige verschwindet uns unter den Händen, das Zukünftige hat nie angefangen, das Allerbeständigste fällt, das Allerstärkste zerbricht, und das Allerewigste nimmt ein End; also, daß du ein Toter bist unter den Toten, und in hundert Jahren läßt du uns nicht eine Stund leben.
    Adieu Welt, denn du nimmst uns gefangen, und läßt uns nicht wieder ledig, du bindest uns, und lösest uns nicht wieder auf; du betrübest, und tröstest nit, du raubest und gibest nichts wieder, du verklagest uns, und hast keine Ursach, du verurteilest und hörest keine Partei; also daß du uns tötest ohne Urteil, und begräbest uns ohne Sterben! Bei dir ist keine Freud ohne Kummer, kein Fried ohne Uneinigkeit, keine Lieb ohne Argwohn, keine Ruhe ohne Furcht, keine Fülle ohne Mängel, keine Ehr ohne Makel, kein Gut ohne bös Gewissen, kein Stand ohne Klag, und keine Freundschaft ohne Falschheit.
    Adieu Welt, denn in deinem Palast verheißet man ohne Willen zu geben, man dienet ohne Bezahlen, man liebkoset um zu töten, man erhöhet um zu stürzen, man hilft um zu fällen, man ehret um zu schänden, man entlehnet um nicht wiederzugeben, man straft ohne Verzeihen.
    Behüt dich Gott Welt, denn in deinem Haus werden die großen Herren und Favoriten gestürzt, die Unwürdigen hervorgezogen, die Verräter mit Gnaden angesehen, die Getreuen in Winkel gestellt, die Boshaftigen ledig gelassen, und die Unschuldigen verurteilt; den Weisen und Qualifizierten gibt man Urlaub, und den Ungeschickten große Besoldung, den Hinterlistigen wird geglaubt, und die Aufrichtigen und Redlichen haben keinen Kredit, ein jeder tut was er will, und keiner

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