Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
dankbarlich zu verschulden: Solches kitzelte ihn, und brachte ihn auch wieder auf eine andre Laun, denn er rühmte gleich darauf seine Arznei trefflich, und erzählte mir, daß Simonides Melicus eine Kunst aufgebracht, die Metrodorus Sceptius nicht ohne große Mühe perfektioniert hätte, vermittelst deren er die Menschen lehren können, daß sie alles, was sie einmal gehöret oder gelesen bei einem Wort nachreden mögen, und solches wäre, sagte er, ohne hauptstärkende Arzneien, deren er mir mitgeteilt, nicht zugangen! »Ja«, gedachte ich, »mein lieber Herr Pfarrer, ich habe in deinen eigenen Büchern bei meinem Einsiedel viel anders gelesen, worinnen Sceptii Gedächtnis-Gunst bestehet.« Doch war ich so schlau, daß ich nichts sagte, denn wenn ich die Wahrheit bekennen soll, so bin ich, als ich zum Narren werden sollte, allererst witzig und in meinen Reden behutsamer worden. Er der Pfarrer fuhr fort, und sagte mir, wie Cyrus einen jeden von seinen 30000 Soldaten mit seinem rechten Namen hätte rufen, Lucius Scipio alle Bürger zu Rom bei den ihrigen nennen, und Cyneas Pyrrhi Gesandter, gleich den andern Tag hernach als er gen Rom kommen, aller Ratsherren und Edelleute Namen daselbst ordentlich hersagen können. »Mithridates, der König in Ponto und Bithynia«, sagte er, »hatte Völker von zweiundzwanzig Sprachen unter sich, denen er allen in ihrer Zungen Recht sprechen, und mit einem jeden insonderheit, wie Sabell. lib. 10 cap. 9 schreibet, reden konnte. Der gelehrte Griech Charmides sagte einem auswendig, was einer aus den Büchern wissen wollte, die in der ganzen Liberei lagen, wenn er sie schon nur einmal überlesen hatte. Lucius Seneca konnte zweitausend Namen herwieder sagen, wie sie ihm vorgesprochen worden, und wie Ravisius meldet, zweihundert Vers von zweihundert Schülern geredet vom letzten an bis zum ersten hinwiederum erzählen. Esdras, wie Euseb. lib. temp. fulg. lib. 8 cap. 7 schreibet, konnte die fünf Bücher Mosis auswendig, und selbige von Wort zu Wort den Schreibern in die Feder diktieren. Themistocles lernete die persische Sprach in einem Jahr. Crassus konnte in Asia die fünf unterschiedlichen Dialectos der griechischen Sprach ausreden, und seinen Untergebenen darin Recht sprechen. Julius Cäsar las, diktierte und gab zugleich Audienz. Von Aelio Hadriano, Portio Latrone, den Römern und andern will ich nichts melden, sondern nur von dem heiligen Hieronymo sagen, daß er Hebräisch, Chaldäisch, Griechisch, Persisch, Medisch, Arabisch und Lateinisch gekonnt. Der Einsiedel Antonius konnte die ganze Bibel nur vom Hörenlesen auswendig. So schreibt auch Colerus lib. 18 cap. 21 aus Marco Antonio Mureto von einem Korsikaner, welcher 6 000 Menschen-Namen angehöret, und dieselbigen hernach in richtiger Ordnung schnell herwieder gesagt.«
»Dieses erzähle ich alles darum«, sagte er ferner, »damit du nicht für unmöglich haltest, daß durch Medizin einem Menschen sein Gedächtnis trefflich gestärket und erhalten werden könne, gleichwie es hingegen auch auf mancherlei Weis geschwächt und gar ausgetilgt wird, maßen Plinius lib. 7 cap. 24 schreibet, daß am Menschen nichts so blöd sei, als eben das Gedächtnis, und daß es durch Krankheit, Schrecken, Furcht, Sorg und Bekümmernis entweder ganz verschwinde oder doch einen großen Teil seiner Kraft verliere. Von einem Gelehrten zu Athen wird gelesen, daß er alles was er je studiert gehabt, sogar auch das ABC vergessen, nachdem ein Stein von oben herab auf ihn gefallen. Ein anderer kam durch eine Krankheit dahin, daß er seines Dieners Namen vergaß, und Messala Corvinus wußte seinen eigenen Namen nicht mehr, der doch vorhin ein gut Gedächtnis gehabt. Schramhans schreibst in fasciculo Historiarum fol. 60 (welches aber so aufschneiderisch klinget, als ob es Plinius selbst geschrieben), daß ein Priester aus seiner eigenen Ader Blut getrunken und dadurch schreiben und lesen vergessen, sonst aber sein Gedächtnis unverrückt behalten, und als er übers Jahr hernach eben an selbigem Ort und damaliger Zeit abermal desselbigen Bluts getrunken, hätte er wieder wie zuvor schreiben und lesen können. Zwar ists glaublicher, was Jo. Wierus de praestigiis daemon. lib. 3 cap. 18 schreibet, wenn man Bärenhirn einfresse, daß man dadurch in solche Phantasei und starke Imagination gerate, als ob man selbst zu einem Bären worden wäre, wie er denn solches mit dem Exempel eines spanischen Edelmanns beweiset, der, nachdem er dessen genossen, in
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