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Der Abgrund

Titel: Der Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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während er tat, als würde er nach seinem Zimmerschlüssel kramen. Leider konnte Web mit seinen Mitteln nicht feststellen, ob sich jemand daran zu schaffen gemacht hatte oder nicht. Es war nicht aufgebrochen worden, aber wer sich mit solchen Dingen auskannte, konnte die einfache Verriegelung in kürzester Zeit überwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen.
    Web öffnete die Tür und hatte die andere Hand an den Griff seiner Waffe gelegt. Er benötigte etwa zehn Sekunden, um festzustellen, dass sich niemand in dem kleinen Zimmer aufhielt. Alles war noch so, wie er es zurückgelassen hatte, und sogar die Papiere in dem Karton, den er vom Dachboden seiner Mutter mitgenommen hatte, waren allem Anschein nach nicht angerührt worden.
    Web hatte jedoch fünf unauffällige Fallen im Zimmer installiert, von denen drei zugeschnappt waren. Im Laufe der Jahre hatte Web dieses System verfeinert, und er benutzte es immer, wenn er unterwegs war. Der Unbekannte, der sein Zimmer durchsucht hatte, war gut, aber nicht vollkommen. Das war ein tröstlicher Gedanke, ungefähr so, als wüsste man, dass der Vier-Zentner-Kerl, mit dem man sich gleich prügeln würde, ein empfindliches Kinn hatte und gelegentlicher Bettnässer war.
    Es war schon seltsam, dass jemand sein Zimmer durchsucht hatte, während er bei Bates gewesen war. Web hatte noch nie zu naiven Illusionen über das Leben geneigt, da er zu viel
    Schlimmes gesehen hatte, nicht nur als Erwachsener, sondern bereits als Kind. Doch er hatte immer geglaubt, dass er sich wenigstens auf das FBI und all die Leute verlassen konnte, die die Behörde jenseits der Vorschriften und technischen Ausrüstung mit Leben erfüllten. Zum ersten Mal in seiner Berufslaufbahn war dieses Vertrauen nun erschüttert worden.
    Er packte seine wenigen Sachen ein und saß fünf Minuten später wieder in seinem Wagen. Er fuhr zu einem Restaurant in der Altstadt von Alexandria, parkte an einer Stelle, die er durch die Fenster des Restaurants beobachten konnte, bestellte sich eine Mahlzeit und beschäftigte sich mit Harry Sullivans Leben.
    Bates hatte nicht übertrieben. Webs Vater war in einigen der besten Besserungsanstalten des Landes zu Gast gewesen, hauptsächlich im Süden, wo es die hervorragendsten Menschenkäfige gab, wie Web wusste. Die Vergehen seines Vaters waren zahlreich, aber es war ein klares Leitmotiv zu erkennen. Es waren stets finanzielle Gaunereien im kleineren Maßstab, von Unterschlagung bis Betrug. Den Vernehmungsund Gerichtsprotokollen in der Akte konnte Web entnehmen, dass die wirksamsten Waffen seines Alten die Zunge und eine Chuzpe waren, die jedes akzeptable Maß bei weitem überstieg.
    Die Unterlagen enthielten mehrere Fotos seines Vaters, von vorn, von links und von rechts, jede Aufnahme mit der Kennziffer für die Verbrecherdatei versehen. Web hatte schon viele Schnappschüsse von verhafteten Personen gesehen, die allesamt einen verblüffend ähnlichen Eindruck machten. Die Delinquenten wirkten erschüttert und entsetzt und schienen bereit, sich die Pulsadern aufzuschneiden oder eine Kugel in den Kopf zu jagen. Doch Harry Sullivan lächelte auf allen Fotos. Der Mistkerl grinste, als hätte er trotz seiner Verhaftung die Polizei übers Ohr gehauen. Aber sein Vater war mit der Zeit sichtlich alt geworden. Er war nicht mehr der gut aussehende junge Mann von den Fotos aus dem Karton vom Dachboden. Die letzte Serie zeigte einen sehr alten Mann, der immer noch lächelte, auch wenn er weniger Zähne hatte. Es gab keinen Grund für Web, warum ihm dieser Mann etwas bedeuten sollte, aber trotzdem war es nicht leicht für ihn, seinen allmählichen Verfall auf dem Fotopapier mitzuerleben.
    Als Web in einigen Gerichtsprotokollen las, musste er an einigen Stellen unwillkürlich lachen. Aus den Dialogzeilen schälte sich das Bild eines gewieften Betrügers heraus, der alle Register zog, um es seinen Anklägern so schwer wie möglich zu machen.
    »Mr Sullivan«, fragte ein Anwalt, »ist es wahr, dass Sie in der fraglichen Nacht...«
    »Ich bitte vielmals um Entschuldigung, mein Junge, aber welche Nacht soll das noch gleich gewesen sein? Mein Gedächtnis hat leider schon etwas nachgelassen.«
    Web glaubte zu sehen, wie der Anwalt die Augen verdrehte, als er antwortete: »Die Nacht zum sechsundzwanzigsten Juni, Mr Sullivan.«
    »Ach, diese Nacht! Erzählen Sie weiter, mein Junge. Sie machen das richtig gut! Ich bin sicher, dass Ihre Mutter verdammt stolz auf Sie ist.«
    An dieser Stelle hatte der

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