Der Abgrund
meistens noch ein paar gegnerische Spieler an ihm hingen. Im letzten Schuljahr waren wir sogar Landesmeister, aber nur, weil Randy in unserem Team war. Wir mussten den Ball nur Randy Cove zuspielen, und er hat alles Weitere erledigt.«
»Klingt nach einer dauerhaften Freundschaft.«
»Richtig. Ich hatte nicht das Talent zum Profifootballer, aber Randy auf jeden Fall. Alle - ich meine wirklich alle - wollten ihn haben.« Hier verstummte Venables und strich mit den Fingern über die Tischplatte. Web beschloss, einfach abzuwarten, was der Mann erzählte.
»Ich war bei dem Demonstrationsspiel dabei, bei dem er sich die Knie verletzte. Wir beide wussten sofort, was los war. Es war nicht wie heute, wo man die Sache einfach in Ordnung bringen lässt und ein Jahr später wieder so gut wie neu auf dem Spielfeld steht. Seine Karriere war vorbei. Einfach so. Mann, für ihn gab's nichts anderes als Football! Wir hockten auf dem Rasen und haben fast eine Stunde lang zusammen geheult. Das hab ich nicht mal bei der Beerdigung meiner Mutter gemacht! Randy war ein toller Kerl.«
»Er war?«
Venables spielte mit dem Pfefferstreuer, dann lehnte er sich zurück und schob seine Kappe etwas höher nach oben, wobei eine Strähne seines lockigen grauen Haars zum Vorschein kam.
»Ich vermute, Sie wissen, was mit seiner Familie passiert ist«, sagte Venables.
»Ich habe einiges darüber gehört. Warum erzählen Sie mir nicht einfach, was Sie wissen?«
»Was gibt's da zu erzählen? Das FBI hat Mist gebaut, und deshalb hat Randy Frau und Kinder verloren.«
»Sie hatten damals noch Kontakt mit ihm?«
Venables machte den Eindruck, als hätte er Web am liebsten sein Bier ins Gesicht geschleudert. »Ich war einer der Sargträger bei der Beerdigung! Haben Sie schon mal den Sarg eines Vierjährigen getragen?« Web schüttelte den Kopf. »Ich sage Ihnen, das vergisst man sein ganzes Leben lang nicht mehr.«
»Hat Cove Ihnen gesagt, dass es die Schuld der Bundespolizei war?«
»Er musste mir gar nichts sagen. Ich war schließlich Polizist. Ich weiß, wie solche Sachen ablaufen. Bin schließlich in Washington gelandet, weil meine Frau von hier ist. Randy hat hier bei den Feds angefangen, aber ich schätze, das wissen Sie. Er hat mich als Mittelsmann benutzt, weil er wusste, dass er mir vertrauen konnte, und das passiert ihm in seinem Job nur selten.«
»Das scheint in vielen Jobs sehr selten zu sein.«
Die Männer tauschten einen verständnisvollen Blick aus, genau im richtigen Moment. Sie hatten vieles gemeinsam, das sich eines Tages zu einer Freundschaft entwickeln mochte.
»Dann wurde Randy nach Kalifornien versetzt, und dort wurde seine Familie ausgelöscht.«
»Wie ich gehört habe, soll er sich gerächt haben.«
Venables sah Web mit eiskalten Augen an. Dieser Blick sagte deutlich, dass Cove viele Geheimnisse hatte und nicht einmal Venables daran interessiert war, alles über ihn zu erfahren. »Hätten Sie anders gehandelt?«
»Möglicherweise nicht. Cove scheint es im Leben nicht leicht gehabt zu haben. Mit den Russen ist nicht zu spaßen.«
»Versuchen Sie mal, mit der falschen Hautfarbe in der Armut von Mississippi aufzuwachsen.« Venables beugte sich vor und stellte die Ellbogen auf den Tisch. »Ich hab einiges von Ihnen gehört. Aus den Zeitungen und manches von Ann Lyle.« Er verstummte und schien Web genau zu studieren. Dann wurde Web klar, dass er auf seine verletzte Gesichtshälfte starrte.
»In den fast zwanzig Jahren, die ich bei der Polizei bin, habe ich meine Waffe vielleicht ein Dutzend Mal gezogen und sie genau sechsmal eingesetzt. Viermal habe ich daneben geschossen, und zweimal habe ich getroffen. Ich bin während der Arbeit nie verletzt worden, ich habe mir nicht einmal einen Fingernagel abgebrochen. Und darauf kann man in dieser Stadt vor allem heutzutage verdammt stolz sein. Jetzt bin ich im Ersten Distrikt, der nicht mit dem blütenweißen und reichen Nordwesten zu vergleichen ist, aber er ist auch nicht so schlimm wie der Sechste und Siebte Distrikt in Anacostia, wo Ihr Team abgeknallt wurde. Ich habe sehr großen Respekt vor Ihnen, vor den Leuten, die ins Feuer spazieren und heil wieder herauskommen. Vor allem Sie scheinen ein wandelndes Aushängeschild dafür zu sein.«
»Ich habe nicht darum gebeten, eins zu sein.«
»Wie ich schon sagte, ich habe großen Respekt vor Ihnen, sonst würde ich hier nicht sitzen und mit Ihnen reden. Aber ich sage Ihnen eins: Sie werden mich niemals davon überzeugen
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