Der Abgrund
»Haben Sie etwas abbekommen?«
»Ich habe versucht, es aus meiner Erinnerung zu verdrängen«, sagte Web. Claire Daniels wäre jetzt bestimmt stolz auf mich!
»Das habe ich gesehen«, sagte Miller. Doch an seinem zweifelnden Tonfall erkannte Web, dass der junge Agent offenbar nicht verstanden hatte, was er damit sagen wollte.
»Wie lange sind Sie schon beim FBI?«, fragte Romano.
»Fast zwei Jahre.«
»Nun, wenn Sie sich die große Drei an die Brust heften dürfen, könnten Sie es mal beim HRT versuchen. Rufen Sie mich an. Wenn es Ihnen wirklich ernst ist, könnte ich Ihnen den Laden zeigen.« Romano gab ihm eine Visitenkarte.
Während Miller die Karte einsteckte, tauschten Romano und Web einen amüsierten Blick aus.
»Mensch, das wäre großartig!«, sagte Miller. »Ich habe gehört, dass Sie verdammt gute Waffen haben.«
Web wusste, dass die Bewaffnung für viele ein großer Anreiz war. Er kannte mehrere Männer, die nur deshalb zum FBI gegangen waren, weil sie dort die Gelegenheit hatten, Waffen zu tragen und zu benutzen. »So ist es. Und wir können Ihnen ganz genau erklären, warum es immer das Beste ist, wenn man sie nicht benutzen muss.«
»Richtig.« Miller wirkte enttäuscht, aber er würde darüber hinwegkommen. Nach einem Moment betretenen Schweigens fragte er: »Äh, kann ich Ihnen vielleicht bei irgendwas behilflich sein?«
»Wir sind nur vorbeigekommen, weil wir uns einmal das Haus ansehen wollten. Wissen Sie irgendetwas über den Typen, der hier wohnt?«
»Nicht allzu viel. Ich weiß nur, dass er etwas mit Ihrem letzten Einsatz zu tun hat. Da fragt man sich, wie einer so werden kann, dass er seinen eigenen Leuten in den Rücken fällt, meine ich.«
»Ja, man stellt sich einige Fragen.« Web betrachte die Reihenhäuser. Hinter den Grundstücken lag ein größeres Waldgebiet. »Ich hoffe, Sie haben jemanden, der die Rückseite bewacht.«
Miller grinste. »Das schon, aber nicht jemanden. Ein paar K-9 im Garten. Er ist eingezäunt. Wenn jemand versucht, von hinten zu kommen, wird er eine Überraschung erleben. Dürfte wesentlich billiger sein, als dort zwei Agenten zu postieren.«
»Wahrscheinlich.« Web sah auf seine Uhr. »Bald ist Mittag. Haben Sie schon etwas gegessen?«
Miller schüttelte den Kopf. »Ich hatte ein paar Kekse und so dabei. Und eine Flasche Wasser. Aber wie ich schon sagte, kommt meine Ablösung erst in drei Stunden. Das Schlimmste daran ist, dass man hier nirgendwo aufs Klo gehen kann.«
»Sie sagen es. So war es auch bei einigen Überwachungseinsätzen im Mittelwesten. Wir mussten mehrere hundert Hektar große Farmen im Auge behalten, die angeblich als Drogenumschlagplätze genutzt wurden, und Campingplätze, auf denen sich ein paar Jungs versteckt hatten, die der Meinung waren, es sei völlig in Ordnung, wenn man Banken ausraubt und mit abgesägten Schrotflinten auf andere Leute schießt. Ich musste es entweder zurückhalten, in eine Flasche pinkeln oder mich irgendwo aufs Feld stellen.«
»Ja«, bestätigte Romano. »Und als ich noch bei den Deltas war, mussten wir uns irgendwo im beschissenen Niemandsland nebeneinander hocken und unsere Häufchen machen. Man bekommt ein ganz anderes Verhältnis zu seinen Kameraden, wenn man Seite an Seite scheißt. Ich musste mal einen Kerl erschießen, während ich die Hosen runtergelassen hatte. Ich kann Ihnen sagen, das war eine verdammt peinliche Erfahrung.«
Miller machte nicht den Eindruck, als könnte er sich für diese Möglichkeiten der Stillung menschlicher Bedürfnisse begeistern. Er war sehr ordentlich gekleidet, und in eine Flasche zu pinkeln oder in Gegenwart anderer die Hosen herunterzulassen, schien nicht unbedingt in das Bild zu passen, das der junge Agent von sich selbst hatte.
»Ein Stück weiter gibt es einen Denny's. Wenn Sie etwas essen wollen, bleiben wir hier, bis Sie zurück sind.«
Miller schien sich unsicher zu sein, ob er seinen Posten verlassen konnte.
»Ein solches Angebot bekommt man nicht jeden Tag, Chris.«
Web öffnete seine Jacke, sodass Miller flüchtig erkennen konnte, dass er bewaffnet war. »Und um Ihre Frage zu beantworten: Ja, ich habe in Waco ein paar Schüsse abbekommen. Gehen Sie und ordern Sie sich eine gute Mahlzeit.«
»Und das wäre wirklich okay?«
Romano antwortete im gefährlichsten Tonfall, den er beherrschte. »Wenn jemand vorbeikommt, der hier nichts zu suchen hat, wird er sich wünschen, lieber im Bett geblieben zu sein.«
Miller setzte sich in seinen Wagen und fuhr
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