Der Abgrund
Stimme zu Web, dass er nicht kommen müsse.
»Bis heute Abend, Gwen.« Mehr erwiderte er nicht darauf, und sie schloss langsam die Tür hinter ihnen.
»Was, zum Teufel, hatte das zu bedeuten?«, fragte Romano »Ich meine, was bezweckst du damit?«
Bevor Web antworten konnte, klingelte sein Handy. Er riss es geradezu aus der Tasche, in der Hoffnung, dass es Claire war. Aber es war Bates.
»Es wird allmählich Zeit, die Zelte auf East Winds abzubrechen«, sagte Bates.
»Sie können Ihre Leute abziehen, aber die Canfields haben Romano und mich gebeten, noch zu bleiben.«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
»Nein, und ich finde wirklich, dass es eine gute Idee ist. Die >Freien<, die auf diesem Anwesen waren, sind weg, aber wer kann sagen, dass nicht noch mehr von ihnen da draußen herumgeistern? Und Ernie ist immer noch auf freiem Fuß.«
»Das ist wahr. Okay, bleiben Sie dort, aber lassen Sie es mich wissen, wenn irgendetwas passiert, und ich meine, in dem Moment, in dem es geschieht, und nicht nach Web-London-Zeit.«
»Ist klar. Haben Sie was von Cove gehört?«
»Nichts. Er ist wie vom Erdboden verschluckt.«
Web dachte an Claire. »Ich kenne das Problem.«
Etwa zur gleichen Zeit, als Web die »Freie Gesellschaft« in Süd-Virginia auslöschte, saß Claire Daniels mit verbundenen Augen und einem Knebel im Mund da. Im Hintergrund konnte sie Männer hören, die sich unterhielten oder eher diskutierten, vermutlich über sie. Jedes Mal, wenn Ed O'Bannons Stimme dazwischenklang, sträubten sich ihr die Haare. Der Mistkerl hatte sie während des ganzen Weges hinunter in die Tiefgarage mit der Pistole in Schach gehalten und sie dann an Armen und Beinen mit Klebeband gefesselt, ehe er sie in den Kofferraum seines Wagens gesperrt hatte. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Und sie blinzelte, um nicht in Tränen auszubrechen. Sie konnte noch immer nicht fassen, dass sie die ganze Zeit Seite an Seite neben dem Mann gearbeitet und nicht im mindesten geahnt hatte, was vor sich ging.
Die Stimmen versiegten, und sie spürte, wie sich ihr Leute näherten. Sie konnte nur daran denken, dass man ihr gleich wieder eine Pistole an den Kopf halten würde, nur würde die Person diesmal mit Sicherheit abdrücken und sie töten... Plötzlich wurde sie derart grob hochgerissen, dass sie das Gefühl hatte, ihre Arme würden ausgekugelt. Sie spürte, wie sie hochgehoben und über eine Schulter gelegt wurde. Wer immer sie trug, der Mann war stark. Er atmete nicht mal schneller, und dort, wo ihr Bauch auflag, waren seine Muskeln hart wie Stahl.
Ein paar Minuten verstrichen, und sie wurde abgelegt, und dann hörte sie das Scheppern von Metall gegen Metall. Ein weiterer Kofferraum. Mit verbundenen Augen und durch die ungewollte Bewegung hatte Claire jeglichen Gleichgewichtssinn verloren, und übel war ihr auch. Der Motor des Wagens sprang an, und die Fahrt ging los. Claire versuchte, irgendwelche Geräusche zu identifizieren, um halbwegs erraten zu können, wo sie sich befand, aber diesen Versuch gab sie schon bald auf. Es waren einfach zu viele verwirrende Geräusche, und sie alle klangen gedämpft.
Sie schätzte, dass sie etwa eine Stunde lang gefahren waren, als die Bewegungen des Wagens darauf hindeuteten, dass sie von geraden, ebenen Straßen auf gewundene und hügelige gewechselt waren. Waren sie aufs Land hinausgefahren? Brachte man sie vielleicht zu irgendeinem verlassenen Waldgelände, um sie zu töten und ihre Leiche den wilden Tieren, Insekten und Elementen zu überlassen? Während ihrer Arbeit bei der Polizei hatte Claire einmal die Überreste einer Frau gesehen, die vergewaltigt und ermordet worden war und zwei Wochen unentdeckt im Wald gelegen hatte. Bis auf die Knochen war von ihr praktisch nichts mehr übrig gewesen. Ihr war bei dem Anblick schlecht geworden. Würde man sie genauso auffinden?
Der Wagen wurde langsamer, dann bog er um eine Kurve und bremste noch stärker ab. Jetzt fuhren sie über unbefestigte Straßen, und sie wurde im Kofferraum hin und her geworfen. Zweimal stieß sie sich dabei den Kopf, einmal sogar so heftig, dass ihr die Tränen kamen. Der Wagen blieb stehen, und dann hörte sie, wie der Motor erstarb und die Türen aufgingen. Sie wappnete sich gegen das, was kommen würde.
Sie hörte Schritte, die sich dem Wagenheck näherten. Das Gefühl der Verzweiflung und Hilflosigkeit, das sie erfüllte, war weitaus schlimmer als zuvor. Was für ein Gefühl war es, wenn man starb? Wenn einem eine
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