Der Abgrund
funktionieren. Aber vielleicht lohnte es sich, genauer nachzuschauen.
»Agent London?«, sagte Gaines.
Web merkte auf. »Was?«
»Wenn ich genauer darüber nachdenke, etwa zwanzig Minuten nach Claires Anruf habe ich etwas bemerkt.«
»Und was war das? Schildern Sie es so genau wie möglich, Tommy.«
»Nun, ein Fahrstuhl ist hinaufgefahren. Und das ist nach Feierabend nur möglich, wenn jemand eine Magnetkarte benutzt und ihn einschaltet.«
»Wo ist der Fahrstuhl losgefahren?«
»In der Garage. Ich habe es an der Stockwerksanzeige erkennen können. Er befand sich auf P2 und kam dann wieder hoch. Ich machte gerade einen Rundgang und konnte es genau verfolgen.«
Der andere Wachmann meldete sich zu Wort. »Vielleicht war das Claire Daniels auf dem Weg nach draußen.«
Web schüttelte den Kopf. »Die meisten Fahrstühle sind, vor allem nach Feierabend, darauf programmiert, ins Parterre zurückzukehren. Wenn Claire den Rufknopf betätigt hätte, wäre der Fahrstuhl aus der Halle gekommen, nicht aus der Tiefgarage.«
»Oh, das stimmt«, sagte der junge Mann. Er war zutiefst enttäuscht.
»Ich hatte auch angenommen, dass es Ms Daniels war«, sagte Tommy Gaines, der den kurzen Wortwechsel verfolgt hatte, »denn sie hatte kurz vorher angerufen, und ich vermutete, der Stromausfall hätte ihr einen solchen Schreck eingejagt, dass sie lieber nach Hause fahren wollte. Aber was die Fahrstühle betrifft, haben Sie Recht. Die Kabine muss von jemand in P2 geholt worden sein, und ich kam zufällig vorbei, als sie wieder nach oben fuhr, und dachte, Ms Daniels hätte den Fahrstuhl gerufen.«
Web nickte. »Aber haben Sie mitbekommen, wo er anhielt? Wenn ich mich recht entsinne, nimmt das Büro, in dem sie arbeitet, fast das gesamte Stockwerk ein.«
»Nein, ich habe meinen Rundgang fortgesetzt. Daher hab ich nicht gesehen, wo er anhielt oder wann er wieder nach unten fuhr. Aber wer auch immer damit unterwegs war, ist nicht in der Halle ausgestiegen, denn dann hitte ich es mitbekommen.« Er zuckte bedauernd die Achseln. »Tut mir Leid. Das ist alles, was ich weiß.«
»Nein, es ist schon okay, Tommy, Sie haben mir sehr geholfen.« Er sah den jungen Mann am Pult an. »Und Sie auch.«
Während Web den Fahrstuhl rief und nach oben fuhr, konnte er über einiges nachdenken. Entweder war es ein Zufall, dass jemand zwanzig Minuten, nachdem Claire unten angerufen hatte, nach oben fuhr. Vielleicht nur ein anderer Mieter, der bis tief in die Nacht gearbeitet hatte. Oder es war irgendetwas anderes im Gange. Unter den gegebenen Umständen musste Web annehmen, dass Letzteres der Fall war.
Als Web in Claires Büro ankam, fragte er dieselbe Frau, die ihm schon vorher geholfen hatte, ob er sich den Sicherungskasten ansehen dürfte.
»Der ist da drüben, glaube ich«, sagte sie unsicher.
»Danke.«
»Meinen Sie, Claire ist etwas zugestoßen?«, fragte die Frau nervös.
»Es geht ihr bestimmt gut.«
Web ging zum Schrank und stellte fest, dass er abgeschlossen war. Er sah sich um, aber die Frau war schon wieder in ihr Büro zurückgekehrt. Er holte seinen Satz Dietriche hervor und hatte den Schrank in kürzester Zeit geöffnet. Er sah sich um. Als Erstes fiel ihm auf, dass irgendetwas aus der Wand gerissen worden war. In der Anschlusstafel klaffte ein Loch, und auf dem Fußboden lagen Reste der Isolierung und vom Verputz Web konnte nicht feststellen, ob hier erst vor kurzem oder schon vor längerer Zeit herumgebastelt worden war. Er hoffte, dass es nicht in der vergangenen Nacht passiert war.
Als er seinen Blick in die Runde schweifen ließ, entdeckten seine erfahrenen Augen, was Claire entgangen war: den drahtlosen Alarmauslöser auf der Innenseite des Türrahmens. Solche Vorrichtungen fand man normalerweise als Diebstahlsicherung in Privathäusern. Web hatte solche Geräte schon oft gesehen, aber noch nie in einem Sicherungskasten in einem Bürogebäude.
Er ging zur Praxistür und öffnete sie. Hier gab es keinen Alarmauslöser. Mehr noch, er fand keinen Hinweis auf ein Sicherungssystem. Warum gab es so etwas in einem Sicherungskasten und nicht in einem Büro? Eine furchtbare Ahnung ließ einen eisigen Schauer über seinen Rücken rieseln, während er all die geschlossenen Türen dieser Büroeinheit betrachtete. Claire hatte ihm erzählt, dass zahlreiche FBIAgenten, deren Lebenspartner und andere Angehörige verschiedener Polizeiorgane bei ihr Hilfe suchten. Hinter diesen Türen wurden viele vertrauliche Informationen
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