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Der Abgrund

Titel: Der Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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»Ich wusste, dass irgendetwas im Gange war, als die >Freien< die Verhandlungen abbrachen. Ich konnte es spüren. Ich hatte viele Jahre als Scharfschütze gearbeitet, und wenn man daran gewöhnt ist, den Ablauf von Ereignissen zu beobachten, entwickelt man einen sechsten Sinn für bevorstehende Ereignisse. Ich habe diesen sechsten Sinn.« Er sah Gwen an. »Ich habe mit Ihnen nie darüber gesprochen. Wollen Sie es hören?«
    »Ja.« Gwen antwortete so schnell, dass sie keine Zeit hatte, darüber nachzudenken.
    »Billy weiß einiges davon. Ich sprach mit ihm, als er mich im Krankenhaus besuchte.«
    »Tut mir Leid, dass ich das nicht geschafft habe.«
    »Ich hatte Sie auch nicht erwartet. Ich war sogar wie vom Donner gerührt, als Billy erschien.« Web schien ein paar Sekunden zu brauchen, um seine Gedanken zu ordnen. Währenddessen blickte Gwen zu den Ausläufern des Blue Ridge in der Ferne. Wenn sie es sich recht überlegte, wollte sie es eigentlich gar nicht hören, aber das konnte sie ihm nicht offen sagen.
    »Wir kamen ungehindert bis zum Turnhalleneingang«, fuhr Web fort. »Ich sah durch das Fenster. Ihr Sohn sah mich. Es kam zwischen uns zum Blickkontakt.«
    Das überraschte sie völlig. »Das habe ich nicht gewusst.«
    »Nun, ich habe es niemandem erzählt, nicht einmal Billy. Es schien niemals der richtige Zeitpunkt dazu zu sein.«
    »Wie sah er aus?«, fragte sie langsam. Der Puls hämmerte in ihren Ohren, während sie auf seine Antwort wartete.
    »Er hatte Angst, Gwen. Aber er wirkte zugleich auch stur, trotzig. Nicht ganz einfach, wenn man gerade zehn ist und vor einem Haufen Verrückter mit Gewehren steht. Ich glaube, jetzt weiß ich, woher David diese Haltung hatte.«
    »Reden Sie weiter«, bat sie mit leiser Stimme.
    »Ich gab ihm ein Zeichen, ganz ruhig zu bleiben. Ich zeigte ihm mit dem Daumen, alles wäre okay, denn ich wollte, dass er sich ruhig verhielt. Falls er erschreckt reagierte oder irgendetwas Ungewöhnliches tat, hätten sie ihn wahrscheinlich auf der Stelle erschossen.«
    »Und blieb er ruhig?«
    Web nickte. »Er war klug. Er wusste, was ich versuchte. Er war voll und ganz bei mir, Gwen. Bei allem, was passierte, war er so tapfer wie kaum ein anderer.«
    Gwen konnte erkennen, dass er Tränen in den Augen hatte. Sie wollte etwas sagen, aber ihre Stimme versagte.
    »Wir schickten uns an, reinzugehen. Und zwar ganz leise und behutsam, ohne irgendwelche Sprengungen oder Explosionen. Durch das Fenster hatten wir gesehen, wo sich jeder der >Freien< aufhielt. Wir wollten sie alle gleichzeitig ausschalten. Wir kriegten den Countdown, und dann geschah es.«
    »Was? Was geschah?«
    »Ein Geräusch von drinnen. Es klang wie ein verdammter Vogel oder ein Pfeifen oder irgendein Alarm oder so etwas. Es war laut und schrill und hätte zu keinem ungünstigeren Augenblick erklingen können. Die >Freien< waren sofort wachsam und eröffneten das Feuer, als wir durch die Tür kamen. Ich weiß nicht, warum sie David erschossen haben, aber er war der Erste, der getroffen wurde.«
    Gwen schaute Web nicht an. Ihr Blick schien sich an den Bergen festgesaugt zu haben. Ein Pfeifen?
    »Ich sah, wie er getroffen wurde.« Webs Stimme zitterte jetzt. »Ich sah sein Gesicht. Seine Augen.« Web schloss seine Augen, und Tränen quollen unter den Lidern hervor. »Sie sahen mich ständig an.«
    Gwens Augen waren jetzt ebenfalls mit Tränen gefüllt, aber sie sah Web noch immer nicht an. »Wie sah er denn aus?«
    Er hob den Kopf und starrte sie an. »Er sah aus, als fühlte er sich verraten«, sagte Web. Er betastete sein lädiertes Gesicht. »Mein Gesicht und die beiden Kugeln in meinen Körper haben mich nicht schlimmer verletzt als der Ausdruck im Gesicht Ihres Sohnes.« Er wiederholte es: »Verraten.«
    Gwen zitterte jetzt so heftig, dass sie sich am Geländer festhalten musste, während die Tränen über ihr Gesicht rannen. Trotzdem konnte sie ihn noch immer nicht ansehen. Ein  Pfeifen?

    »Vielleicht habe ich deswegen Befehle missachtet, als ich mich dem Angriff auf die >Freien< anschloss.« Er schaute sie mit brennenden Augen an. »Es hat mich meine Karriere gekostet, Gwen, ich wurde deswegen aus dem FBI geworfen. Aber ich würde es wieder tun. Vielleicht war es meine Methode, mit den Dingen fertig zu werden, sie zu verarbeiten. Sehen Sie, Ihr Sohn hatte etwas Besseres verdient als das, was ich ihm geben konnte. Damit lebe ich jeden Tag. Es tut mir so Leid, dass ich ihn und Sie enttäuscht habe. Ich erwarte keine

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