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Der Abgrund

Titel: Der Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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Verzeihung aber ich wollte nur, dass Sie alles wissen.«
    »Wir sollten lieber zurückreiten«, sagte sie leise.
    Gwen ging als Erste nach unten und hinüber zu Comet statt zu Baron. Sie hob das Vorderbein des Pferdes an. Jeder Nerv in Gwens Körper schien zu brennen, und der Puls dröhnte noch immer in ihren Ohren. Sie konnte kaum stehen, aber sie musste es tun, trotz allem, was ihr gerade offenbart worden war, musste sie es tun. Sie hatte lange genug gewartet. Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder.
    »Gibt es ein Problem?«, fragte Web.
    Sie konnte den Mann nicht ansehen. »Es schien, als wäre da vorn was nicht ganz in Ordnung. Aber ich scheine mich geirrt zu haben. Ich werde es trotzdem im Auge behalten.«
    Sie richtete sich auf und tätschelte Comets Hals, und während Web nicht hinsah, schob sie den Gegenstand, den sie in der Hand hielt, unter den Sattel.
    »Okay, jetzt komm Ihre große Prüfung«, sagte sie. »Wir werden diesen Abhang so schnell wie möglich bis zu den Bäumen hinuntergaloppieren, doch dann müssen Sie das Pferd sofort zügeln, denn der Weg durch die Bäume ist zu schmal. Man kommt nur im Schritttempo hindurch. Verstanden?«
    »Das gefällt mir.« Web tätschelte Comets Hals.
    »Das habe ich mir fast gedacht. Los, reiten wir«, sagte sie.
    Sie schwangen sich beide in die Sättel und ritten zu den Bäumen hinunter.
    »Wollen Sie zuerst?«, fragte Web, während er sich im Sattel die richtige Position suchte.
    »Nein, reiten Sie nur. Ich will mir Comets Bein ansehen...«
    Das Pferd ging durch, und Web war darauf nicht vorbereitet. Comet beschleunigte und raste in vollem Galopp den Steilhang hinunter und genau auf die mächtigen Bäume zu.
    »Web!«, rief Gwen, und sie folgte ihm, aber sie bremste Baron leicht und fiel zurück. Sie schaute hangabwärts, und Web verlor in diesem Moment den Steigbügel und wäre fast vom Pferd gefallen. Die Zügel rutschten ihm aus den Händen, und er klammerte sich verzweifelt am Sattelhorn fest, während der Abstand zwischen ihm und den Bäumen rasend schnell zusammenschrumpfte. Er wusste es nicht, aber mit jedem Hüpfer im Sattel wurde ein kleiner Nagel, den Gwen unter den Sattel geschoben hatte, tiefer in den Körper des Pferdes getrieben.
    Web drehte sich nicht um. Aber wenn er es getan hatte, hätte er plötzlich eine Frau gesehen, die offenbar einen heftigen inneren Kampf ausfocht. Gwen Canfield wünschte sich so sehnlich, dass Pferd und Reiter gegen die Bäume prallten. Sie wollte Web London vor ihren Augen sterben sehen, für immer und ewig besiegt. Sie wollte endlich von dem Schmerz befreit sein, der sie so lange gequält hatte. Sie konnte ihn einfach nicht mehr ertragen. Es überstieg ihre Kräfte. Irgendetwas musste geschehen. Sie brauchte nur abzuwarten. Stattdessen trieb sie Baron an und jagte hinter Web her.
    Knapp zwanzig Meter trennten Web noch von diesen Bäumen, und Comet machte seinem Namen alle Ehre. Fünfzehn Meter vor dem Wald ließ Gwen sich auf dem Pferd leicht zur Seite rutschen. Bei zehn Metern streckte sie den Arm aus und hielt die Hand hoch. Sie waren kaum acht Meter von den
    Bäumen entfernt, und Gwen war bereit, alles für Web zu riskieren, denn falls es ihr nicht gelang, Comet zu stoppen, würden sie und Baron ebenfalls zwischen die Bäume krachen.
    Es gelang ihr, sich weit genug hinüberzubeugen und die Zügel zu ergreifen. Und sie zog mit einer Kraft, die aus der Qual erwuchs, die sich in all den Jahren in ihr angesammelt hatte, denn sie schaffte es praktisch ohne Hilfe, ein tausend Pfund schweres Pferd, das mit halsbrecherischer Geschwindigkeit unterwegs war, keine drei Meter vor den ersten Bäumen zum Stehen zu bringen.
    Atemlos schaute sie hinüber zu Web, der zusammengesunken dasaß. Er hob schließlich den Kopf, sah sie an, sagte aber keinen Ton. Und dennoch hatte Gwen das Gefühl, als wäre die Last allen Leids der Welt plötzlich von ihren Schultern genommen worden. Lange hatte sie ihre Trauer als Fesseln, Knebel ihrer Seele empfunden, die sie unmöglich abstreifen konnte.
    Und doch waren sie jetzt verschwunden wie Sand im Wind. Und sie genoss, wie wundervoll es sein konnte, all den Hass endlich fahren zu lassen. Doch die grausame Ungerechtigkeit des Lebens setzte ihr weiterhin zu, denn nun war Gwens Hass durch etwas noch Qualvolleres ersetzt worden: durch ein Gefühl der Schuld.

KAPITEL 52

    Als Gwen Web am Kutschenhaus absetzte, war sie seltsam schweigsam. Er wollte ihr danken, dass sie ihm das Leben gerettet

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