Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
musste er haltmachen und sich setzen, die Ellbogen auf den zitternden Knien. Er wusste, dass seine Erschöpfung und sogar die Furcht irgendwann einmal nachlassen würden, aber dass auch seine Einsamkeit je aufhören würde, konnte er sich nicht vorstellen.»Es tut mir aufrichtig leid, Seoman, aber es gibt nichts, was wir tun können. Gestern Abend bei Sonnenuntergang hat sich am Horizont Reniku gezeigt, der Stern, den wir Sommerlaterne nennen. Ich bin schon viel zu lange hiergeblieben; ich kann nicht länger bleiben.«
Jiriki hockte mit untergeschlagenen Beinen auf einem Felsblock der weitläufigen Terrasse vor der Höhle und starrte hinunter in den Nebelteppich des Tals. Im Gegensatz zu Simon und Haestan trug er keine dicke Winterkleidung. Der Wind zupfte an den Ärmeln seines glänzenden Hemdes.
»Aber was geschieht mit Binabik und Sludig?« Simon warf einen Stein in die Tiefe und hoffte dabei halb, er werde einen unten im Nebel verborgenen Troll treffen. »Wenn Ihr nichts unternehmt, wird man sie töten!«
»Es gibt nichts, das ich für sie tun könnte«, erwiderte Jiriki ruhig. »Die Qanuc haben ein Recht auf ihre Gerechtigkeit. Es wäre nicht ehrenhaft, sich einmischen.«
»Ehre? Zum Henker mit dieser Ehre! Binabik weigert sich, auch nur ein Wort zu sprechen! Wie kann er sich da verteidigen?«
Der Sitha seufzte, aber sein Falkengesicht verriet keine Regung. »Vielleicht gibt es keine Verteidigung. Vielleicht weiß Binabik, dass er sich gegen sein Volk vergangen hat.«
Haestan schnaubte angewidert. »Wir kennen ja nicht einmal das Verbrechen, das der Kleine begangen haben soll.«
»Eidbruch, hat man mir gesagt«, versetzte Jiriki milde. Er wandte sich an Simon. »Ich muss gehen, Seoman. Die Nachricht, dass der Jäger der Nornenkönigin die Zida’ya angreift, hat mein Volk sehr beunruhigt. Man wünscht meine Heimkehr. Es gibt vieles zu besprechen.« Jiriki strich sich eine Haarsträhne aus den Augen. »Außerdem ist mir durch den Tod meines Verwandten An’nai, der jetzt auf dem Urmsheim begraben liegt, eine Aufgabe zugefallen. Sein Name muss mit allen dazugehörigen Zeremonien in das Buch der Tanzenden Jahre eingetragen werden. Ich bin der Letzte meines Volkes, der sich dieser Verantwortung entziehen dürfte. Schließlich war es Jiriki i-Sa’onserei und kein anderer, der ihn an den Ort führte, an dem er den Tod fand – und es hatte viel mit mir und meinem Eigensinn zu tun, dass er überhaupt mitkam.« Die Stimme des Sitha wurde hart,und er ballte die braunen Finger zur Faust. »Begreifst du nicht? Ich kann An’nais Opfer nicht einfach übergehen.«
Simon war verzweifelt. »Ich weiß nichts von Eurem Tanzenden Buch – aber Ihr habt gesagt, wir würden für Binabik sprechen dürfen. Das haben sie Euch versichert!«
»Ja. Hirte und Jägerin waren damit einverstanden.«
»Nun, und wie sollen wir das tun, wenn Ihr fort seid? Wir sprechen die Trollsprache nicht, und sie verstehen die unsere nicht.«
Simon kam es vor, als sehe er einen Ausdruck der Verwirrung über das unerschütterliche Antlitz des Sitha huschen, aber er verschwand so schnell, dass er sich nicht sicher war. Jirikis Augen fingen seinen Blick auf und hielten ihn fest. Lange starrten sie einander so an.
»Du hast recht, Seoman«, stellte Jiriki langsam fest. »Ehre und Erbe haben mich schon früher in schwierige Situationen gebracht, aber noch nie so eindeutig.« Er senkte den Kopf und sah auf seine Hände, um dann allmählich den Blick zum grauen Himmel zu heben. »An’nai und meine Familie müssen mir verzeihen. J’asu pra-peroihin! So soll das Buch der Tanzenden Jahre meine Schande verzeichnen.« Er holte tief Atem. »Ich werde hierbleiben, bis der Tag für Binabiks Gerichtsverhandlung kommt.«
Simon hätte sich freuen sollen, aber er empfand nur Leere. Sogar für einen Sterblichen war unübersehbar, dass sich der Sithaprinz zutiefst unglücklich fühlte: Jiriki brachte ein furchtbares Opfer. Doch welche Möglichkeit hätte es sonst gegeben? Sie alle waren auf diesem hohen Felsen jenseits der bekannten Welt gestrandet, allesamt Gefangene der Umstände. Sie waren unwissende Helden, Eidbrecher-Freunde …
Ein kalter Schauer lief Simon über den Rücken. »Jiriki!«, keuchte er und wedelte mit beiden Händen, als wollte er seiner plötzlichen Eingebung einen Weg bahnen.
Würde es funktionieren? Und selbst wenn – würde es auch helfen?
»Jiriki«, wiederholte er, schon etwas ruhiger, »ich glaube, mir ist etwas eingefallen, das
Weitere Kostenlose Bücher