Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Zimmer zu verbringen, in dem Simon ihn bei seiner Ankunft in Jao é-Tinukai’i zuerst begrüßt hatte. Während die ersten Wochen seiner Gefangenschaft verflossen, gewöhnte sich Simon daran, dort mit Jiriki die Abende zu verbringen. Sie saßen auf dem sanften Hang über dem Wasser und sahen zu, wie das Licht allmählich vom Himmel verschwand, die Schatten länger wurden und der gläserne Teich sich dunkler färbte. Wenn sich dann der letzte Schimmer des Sonnenlichtes in den Zweigen verlor, wurde der Teich zum düsteren Spiegel, in dessen violetten Tiefen Sterne aufblühten.
Simon hatte früher nie wirklich auf die Geräusche der hereinbrechenden Nacht geachtet, jetzt aber regte ihn Jirikis oft schweigende Gesellschaft dazu an, ganz bewusst dem Gesang der Grillen und Frösche zu lauschen und das Seufzen des Windes in den Bäumen nicht mehr nur als Mahnung wahrzunehmen, sich die Mütze fester über die Ohren zu ziehen. Manchmal, wenn er so in den schwellenden Abend versank, hatte er das Gefühl, vor einer tiefen Einsicht zu stehen. Ihm war, als wachse er über sich selbst hinaus, als begreife er, wie man sich fühlte, wenn man in einer Weit lebte, die sich um Städte oder Burgen oder die Sorgen ihrer Erbauer herzlich wenig kümmerte. Manchmal fürchtete er sich auch vor der Größe der Welt, der unendlichen Weite des besternten Abendhimmels.
Doch trotz all dieser ungewohnten Erkenntnisse blieb er doch er selbst. Und die meiste Zeit war er schlicht und einfach unzufrieden.
»Er hat es bestimmt nicht so gemeint.« Er leckte sich den Saft einer gerade verspeisten Birne von den Fingern und warf das Kerngehäuse verdrießlich zum grasigen Uferrand hinunter. Neben ihm spielte Jiriki mit dem Stiel, der von seiner eigenen Birne übriggeblieben war. Es war Simons fünfzehnter Abend in Jao é-Tinukai’i – oder war es schon der sechzehnte? »Hierbleiben, bis ich sterbe? Das ist doch Wahnsinn!« Natürlich hatte er Jiriki nichts von seinem misslungenen Fluchtversuch erzählt, aber er konnte auch nicht so tun, als habe er sich mit der Gefangenschaft abgefunden.
Jiriki machte ein Gesicht, von dem Simon gelernt hatte, dass es Kummer ausdrückte: ein kaum sichtbares Schmalerwerden der Lippen, ein Schleier über den nach oben gerichteten Katzenaugen.»Es sind meine Eltern«, sagte der Sitha. »Es sind Shima’onari und Likimeya, die Gebieter der Zida’ya, und ihre Entscheidung ist so unabänderlich wie der Lauf der Jahreszeiten.«
»Aber warum habt Ihr mich dann hierhergebracht? Ihr wart es doch, der die Regel gebrochen hat!«
»Es gab keine Regel zu brechen – nicht wirklich.« Jiriki drehte den Stiel noch einmal in den langen Fingern und warf ihn dann in den Teich. Ein kleiner Ring zeigte an, wo er hineingefallen war. »Es war immer eine stillschweigende Übereinkunft, aber das ist etwas anderes als ein Wort des Gebotes. Schon von jeher ist es Brauch bei den Dämmerungskindern, dass wir tun können, was uns beliebt, sofern es nicht gegen ein Wort des Gebotes verstößt; aber einen Sterblichen hierherzubringen traf mitten ins Herz der Dinge, die unser Volk seit unvordenklichen Zeiten entzweien. Ich kann dich nur um Verzeihung bitten, Seoman. Es war ein Wagnis, und ich hatte nicht das Recht, dein Leben aufs Spiel zu setzen. Aber ich war zu dem Schluss gekommen, dass ausnahmsweise – und ich meine wirklich nur dieses eine Mal – ihr Sterblichen recht haben könntet und mein Volk sich irrt. Dieser Winter, der sich immer mehr ausbreitet, bedroht nicht allein die Königreiche der Sudhoda’ya.«
Simon lag da und sah hinauf zu den immer heller leuchtenden Sternen. Er versuchte die Verzweiflung zu ersticken, die in ihm aufstieg. »Ist es möglich, dass Eure Eltern ihre Meinung ändern?«
»Es wäre möglich«, erwiderte Jiriki vorsichtig. »Sie sind weise und wären freundlich, wenn sie könnten. Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen. Wir Zida’ya treffen niemals schnelle Entscheidungen, schon gar nicht in schwierigen Fällen. Die Bedenkzeit, die ihnen angemessen erscheinen könnte, würde vielleicht Jahre betragen, und Sterblichen fällt es schwer, so lange zu warten.«
»Jahre!« Simon war erschüttert. Plötzlich verstand er, warum Tiere sich die eigenen Beine abbissen, um aus einer Falle herauszukommen. »Jahre!«
»Es tut mir leid, Seoman.« Jirikis Stimme klang heiser, als empfinde er großen Schmerz, aber die goldenen Züge blieben auch jetzt ungerührt. »Es gibt ein Zeichen der Hoffnung, aber erwarte nicht
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