Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
die Zeit aller Sterblichen, flüchtig und lästig wie Insekten, ist fast vorüber. Tötet mich. In den tiefsten Hallen von Nakkiga werden die Lichtlosen von mir singen. Meine Kinder werden meines Namens mit Stolz gedenken.«
»Kinder?« Aus Isorns Stimme sprach deutliche Überraschung. Der Gefangene warf dem blonden Nordmann einen Blick eisiger Verachtung zu, antwortete jedoch nicht.
»Aber warum?«, wollte Josua wissen. »Warum verbündet ihr euch mit Sterblichen? Und welche Bedrohung bedeuten wir für euch, so fern in eurer nördlichen Heimat? Was gewinnt euer Sturmkönig bei all diesem Wahnsinn?«
Der Norne starrte nur vor sich hin.
»Sprich, verfluchte bleiche Höllenseele!«
Nichts.
Josua seufzte. »Und was fangen wir nun mit ihm an?«, murmelte er, fast als frage er sich selbst.
»Das!« Einskaldir löste sich aus Deornoths Griff und hob die Axt. Einen stummen Herzschlag lang sah der Norne zu ihm auf, daseckige Gesicht wie eine blutverschmierte Maske aus Elfenbein, bevor der Rimmersmann das Handbeil auf ihn niedersausen ließ, den Schädel spaltete und der Körper des Nornen auf die Erde klappte. Die dünne Gestalt des Nornen begann zu zucken, sich zu krümmen und zu strecken und dann jäh nach vorn umzuknicken, als säße ein Scharnier in ihrer Mitte. Ein dünner Blutnebel sprühte aus seinem Kopf. Die Todeszuckungen waren so grauenvoll einförmig wie die Windungen einer zertretenen Grille. Deornoth musste sich abwenden.
»Verflucht sollst du sein, Einskaldir«, sagte Josua endlich mit wutheiserer Stimme. »Wie kannst du es wagen? Ich habe dir keinen Befehl gegeben! «
»Und wenn ich es nicht getan hätte, was dann?«, versetzte Einskaldir. »Ihn mitnehmen? Irgendwann nachts mit diesem grinsenden Leichengesicht vor dem eigenen aufwachen?« Er schien nicht ganz so selbstsicher zu sein, wie er sich anhörte, aber seine Worte waren steif vor Zorn.
»Beim guten Gott, Rimmersmann, kannst du denn nie abwarten, bevor du zuhaust? Wenn du schon keinen Respekt vor mir hast, was ist mit deinem Gebieter Isgrimnur, der dir befahl, mir Gehorsam zu leisten?« Der Prinz beugte sich vor, bis sein gequältes Gesicht nur eine Handbreit von Einskaldirs störrischem dunklem Bart entfernt war. Der Prinz hielt Einskaldirs Blick fest, als versuche er etwas Verborgenes darin zu entdecken. Keiner der beiden Männer sprach.
Während er so auf das Profil seines Prinzen starrte, Josuas mondbeschienene Züge, die so voller Grimm und Leid waren, fiel Deornoth ein Gemälde ein, das er einmal gesehen hatte. Es zeigte den Ritter Camaris beim Ritt in die erste Schlacht gegen die Thrithinge. König Johans gewaltigster Ritter hatte den gleichen Gesichtsausdruck gehabt, stolz und verzweifelt wie ein verhungernder Falke. Deornoth schüttelte den Kopf, um die Schatten zu verscheuchen. Was für eine Nacht des Wahnsinns!
Einskaldir wandte sich als Erster ab. »Es war ein Ungeheuer«, murrte er. »Jetzt ist es tot. Zwei seiner Gefährten sind verwundet und verjagt. Ich will meine Axt vom Elbenblut reinigen.«
»Zuerst wirst du die Leiche begraben«, gebot Josua. »Isorn, hilf Einskaldir. Durchsucht die Kleidung des Nornen nach allem, das uns vielleicht mehr erzählt. Gott helfe uns, wir wissen so wenig.«
»Begraben?«, fragte Isorn respektvoll, aber voller Zweifel.
»Wir wollen nichts unversucht lassen, das uns retten könnte.« Josua klang, als sei er des Redens müde. »Wenn die Gefährten des Nornen seinen Körper nicht finden, merken sie vielleicht nicht, dass er tot ist. Vielleicht fragen sie sich, was er uns alles verrät.«
Isorn nickte, ohne wirklich überzeugt zu sein, und machte sich an die wenig angenehme Arbeit. Josua drehte sich um und nahm Deornoth beim Arm.
»Komm«, sagte der Prinz, »wir müssen miteinander sprechen.«
Sie gingen ein kleines Stück von der Lichtung fort, blieben jedoch in Hörweite des Lagers. Die Scherben des Nachthimmels, die durch die dichtstehenden Bäume sichtbar waren, hatten eine dunkelblaue Farbe angenommen und begannen sich zu erwärmen. Der Tagesanbruch nahte. Ein einsamer Vogel pfiff.
»Einskaldir meint es gut, Prinz Josua«, brach Deornoth das Schweigen. »Er ist feurig und ungeduldig, aber kein Verräter.«
Josua schaute ihn überrascht an. »Der Himmel bewahre uns, Deornoth, glaubst du, das weiß ich nicht? Was meinst du, weshalb ich so wenig gesagt habe? Aber Einskaldir handelte unüberlegt – ich hätte gern mehr von dem Nornen gehört, auch wenn sein Ende nicht anders hätte
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