Der Adler ist entkommen
Spanischen Botschaft in Berlin.«
»Hervorragend.« Munro lachte jetzt. »Geben Sie ihm den Auftrag, er soll nach Berlin melden, daß wir Kurt Steiner haben. Und daß er im Tower von London sitzt. Das klingt dramatisch.
Er soll dafür sorgen, daß diese Information sowohl zu Canaris wie auch zu Himmler dringt. Das müßte sie eigentlich aufscheuchen.«
»Was in aller Welt haben Sie vor, Sir?« fragte Carter.
»Krieg, Jack, es ist Krieg. Nehmen Sie sich noch einen Drink, und dann verziehen Sie sich nach Hause und legen sich ins Bett. Sie haben einen anstrengenden Tag vor sich.«
In der Nähe von Paderborn in Westfalen, oberhalb der kleinen Stadt Wewelsburg, steht die Burg gleichen Namens, die Heinrich Himmler im Jahr 1934 vom Landrat überschrieben wurde. Ursprünglich hatte er geplant, sie in eine Schule für Führungspersönlichkeiten der Reichs-SS umzuwandeln. Doch nachdem die Architekten und Bauarbeiter ihr Werk vollendet hatten und viele Millionen Reichsmark verbraucht worden waren, stand da eine gotische Monstrosität, die eher einer Filmkulisse von MGM aus jenen Tagen glich, als in Hollywood historische Monumentalschinken in Mode waren. Die Burg hatte drei Flügel, verschiedene Türme und einen Graben. Im Südflügel befanden sich die privaten Räume des Reichsführers und sein ganz besonderer Stolz, ein gigantischer Speisesaal, wo sich ausgewählte Angehörige der SS zu einer Art heiliger Tafelrunde versammelten. Das Ganze entsprang Himmlers Begeisterung für König Artus und die Ritter der Tafelrunde, gewürzt mit einer kräftigen Prise Okkultismus.
Rund zwanzig Kilometer davon entfernt zündete sich Walter Schellenberg an diesem Dezemberabend eine Zigarette im Fond des Mercedes an, der ihn in zügiger Fahrt zu der Burg brachte. Er hatte am Nachmittag in Berlin den Befehl erhalten, sich beim Reichsführer zu melden. Ein Grund wurde nicht genannt, aber er betrachtete die Einladung nicht als Anzeichen für eine mögliche Beförderung.
Er war schon öfter in Wewelsburg gewesen, hatte sogar einmal die Grundrisse der Burg im Hauptquartier des SD einsehen können. Er kannte sie daher recht gut. Er wußte auch, daß die einzigen Männer, die mit dem Reichsführer an der Tafel saßen, Verrückte waren wie Himmler selbst und an all diesen frühmittelalterlichen Unsinn über die Überlegenheit der Sachsen glaubten, oder aber Opportunisten. Sie hatten sogar ihre eigenen Stühle mit silbernen Namensschildern. Die Tatsache, daß König Artus römischbritischer Herkunft war und gegen sächsische Eindringlinge gekämpft hatte, ließ die ganze Angelegenheit noch bizarrer erscheinen, aber Schellenberg hatte schon lange aufgegeben, sich über die Auswüchse des Dritten Reichs zu wundern.
Aus Rücksichtnahme auf die Bekleidungsvorschriften von Wewelsburg trug er die schwarze Uniform der SS sowie an seinem Waffenrock das Eiserne Kreuz erster Klasse.
»In was für einer Welt leben wir eigentlich«, murmelte er, während der Wagen im leichten Schneegestöber die Straße hinauf zur Burg fuhr. »Manchmal frage ich mich wirklich, wer der Chef von diesem Irrenhaus ist.«
Er lächelte und entspannte sich und wirkte plötzlich sehr charmant, obgleich eine Mensurnarbe auf der Wange von einer härteren Seite seines Charakters kündete. Es war ein Überbleibsel aus seiner Studentenzeit an der Bonner Universität. Trotz einer überdurchschnittlichen Begabung für Sprachen hatte er sich an der medizinischen Fakultät eingeschrieben und war später auf Jura umgestiegen. Aber im Deutschland von 1933 waren die Zeiten schwer, selbst für qualifizierte junge Männer, die gerade ihr Universitätsstudium abgeschlossen hatten.
Die SS warb begabte junge Hochschulabsolventen für ihre höheren Führungskader an. Wie viele andere hatte Schellenberg das Ganze als Beschäftigung angesehen und weniger als eine politische Ideologie, und seine Karriere war erstaunlich gewesen. Aufgrund seiner Fremdsprachenkenntnisse hatte Heydrich ihn in den Sicherheitsdienst übernommen, das Sicherheitsorgan der SS, auch bekannt als SD. Seine Hauptaufgabe war der Spionagedienst im Ausland gewesen, was häufig zu Konflikten mit der Abwehr führte, obgleich seine persönlichen Beziehungen zu Canaris immer gut waren. Eine Reihe brillanter Geheimmissionen hatte ihn sehr schnell auf der Karriereleiter nach oben gebracht. Mit seinen gerade einunddreißig Jahren war er Brigadeführer der SS und Generalmajor der
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