Der Adler ist entkommen
Lebensmittel sind knapp. Und irgend etwas will man schließlich im Kochtopf haben.« Sie schien gar nicht mit dem Reden aufhören zu können. »Gehen wir in die Küche, ja?«
Die Küche, in deren Mitte ein riesiger Holztisch mit Stühlen darum herum stand, war sehr geräumig. Aber in der Spüle türmte sich schmutziges Geschirr, und der ganze Raum wirkte unordentlich und schmuddelig. Das Fehlen von Hauspersonal war unübersehbar.
»Eine Tasse Tee?« fragte sie. »Oder möchten Sie lieber etwas Kräftigeres?«
»Nein, Tee wäre wunderbar.«
Er stellte den Kasten und die Tragetasche mit den Fahrradlampen behutsam auf dem Tisch ab, während Lavinia Shaw Wasser aufsetzte und danach den Tee aufbrühte. Dabei war sie so aufgeregt und nervös, daß sie ihn schon abgoß, ehe er richtig hatte ziehen können.
»Mein Gott, jetzt habe ich ihn verdorben.«
»Aber nein. Er hat Farbe und ist heiß, oder etwa nicht?« sagte Devlin.
Sie träufelte etwas Milch in seine Tasse, ließ sich auf der anderen Seite des Tisches nieder und verschränkte die Arme unter ihren vollen Brüsten. Ihre Augen glitzerten jetzt und verfolgten jede seiner Bewegungen. »Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, wie spannend ich all das finde. Ich bin seit Jahren nicht mehr so aufgeregt gewesen.«
Sie erschien ihm wie eine Figur aus einem schlechten Film. Sie war die Grafentochter, die in Reitkleidung durch die Verandatür stiefelte und jeden, der ihr begegnete, mit einem affektierten Redeschwall überschüttete.
»Waren Sie in letzter Zeit in Deutschland?« erkundigte sie sich.
»O ja«, antwortete er. »Erst gestern habe ich Berlin verlassen.«
»Wie wundervoll, an all dem teilnehmen zu dürfen. Die Menschen hier sind so gleichgültig. Sie begreifen gar nicht, was der Führer für Deutschland getan hat.«
»Für ganz Europa, kann man ruhig behaupten«, wandte Devlin ein.
»Genau. Er hat ihm Kraft, ein Ziel, Disziplin gegeben. Wohingegen hier...« Sie lachte abfällig. »Dieser versoffene Narr Churchill hat überhaupt keine Ahnung, was er tut. Er stolpert von einem Fehler zum anderen.«
»Tatsächlich, was Sie nicht sagen«, meinte Devlin trocken. »Meinen Sie, wir könnten uns mal umschauen? Mich interessiert die alte Scheune, die Sie mal als Hangar für Ihre Tiger Moth benutzt haben, und die Südweide.«
»Natürlich.« Sie sprang so eilfertig auf, daß sie dabei den Stuhl umstieß. »Ich hole mir nur eben einen Mantel«, meinte sie, während sie ihn wieder aufstellte.
Die Wiese war viel größer, als er erwartet hatte, und erstreckte sich bis zu einer Baumreihe in der Ferne. »Wie lang ist sie?« erkundigte sich Devlin. »Zweihundertfünfzig oder dreihundert Yards?«
»O nein«, sagte sie. »Es sind wohl eher dreihundertfünfzig. Das Gras ist so kurz, weil wir die Wiese einem Bauern im Ort als Schafweide verpachtet haben, aber die Schafe sind mittlerweile geschlachtet worden.«
»Sie sind früher hier gestartet und gelandet?«
»Oft. Damals hatte ich noch meine süße kleine Moth. Sie war wunderbar.«
»Und die Scheune da drüben haben Sie als Hangar benutzt?«
»Richtig. Ich zeige sie Ihnen.«
Das Gebäude war ziemlich groß, doch wie alles andere hatten auch die stabilen Türen schon bessere Tage gesehen. Stellenweise hatte die Trockenfäule bereits eingesetzt, und es fehlten einige Bretter in den Seitenwänden. Devlin half ihr dabei, einen der Türflügel so weit zu öffnen, daß sie die Scheune betreten konnten. In einer Ecke rostete ein Traktor vor sich hin, und weiter hinten lag ein Rest vermoderten Heus. Ansonsten war die Scheune leer.
»Wollen Sie hier ein Flugzeug unterstellen?« fragte sie.
»Nur für kurze Zeit, damit niemand die Maschine sieht. Eine Lysander. Nicht so groß. Sie paßt problemlos hinein.«
»Und wann genau?«
»Morgen abend.«
»Liebe Güte, Sie haben es aber eilig.«
»Nun ja, Zeit ist wertvoll.«
Sie gingen wieder hinaus und schlossen die Tür hinter sich. Irgendwo in der Ferne wurde eine Schrotflinte abgefeuert. »Das war mein Bruder«, sagte sie. »Kommen Sie, wir gehen ihn suchen, ja?«
Während sie über die Wiese wanderten, sagte sie: »Wir waren früher mit einem Deutschen befreundet, der häufig hier war - Werner Keitel hieß er. Wir flogen viel in der Gegend herum. Kennen Sie ihn vielleicht?«
»Er kam in der Luftschlacht um England ums Leben.«
Sie schwieg nur
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