Der Adler ist gelandet
griff nach einer Zigarette, und Hofer zückte ein Feuerzeug, das aus der Hülse einer russischen 7,62-mm-Patrone gefertigt war. »Machen wir denn weiter, Herr Oberst?«
Radl blickte zur Decke. »Kennen Sie die Werke von Jung, Hofer?« »Der Herr Oberst weiß, daß ich vor dem Krieg Bier und Wein ausgeschenkt habe.«
»Jung spricht von der Synchronizität, dem zeitlichen Zusammenstimmen von Ereignissen, das ihnen schicksalhafte Motivation zu verleihen scheint.«
»Herr Oberst...?« sagte der Stabsfeldwebel höflich. »Zum Beispiel diese Sache hier. In einem Augenblick der Überreiztheit stellt der Führer, der Himmel möge ihn schützen, versteht sich, an uns das absurde Ansinnen, wir sollten Skorzenys Gran-Sasso-Unternehmen zu übertrumpfen suchen, indem wir ihm Churchill holen, ob tot oder lebendig, sagt er allerdings nicht. Ein Witz! Aber da reckt die Synchronizität ihren häßlichen Kopf aus einem ganz gewöhnlichen Abwehrbericht. Ein kurzer Hinweis, daß Churchill nur zehn Kilometer von der Küste entfernt in einem abgelegenen Landhaus in der gottverlassensten Gegend Englands ein Wochenende verbringen wird. Verstehen Sie jetzt? Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre Mrs. Greys Bericht ohne weitere Konsequenzen geblieben.«
»Dann machen wir also weiter, Herr Oberst?«
»Sieht so aus, als hätte das Schicksal sich eingeschaltet, Hofer«, sagte Radl. »Wie lange, sagten Sie, sind Mrs. Greys Berichte mit dem spanischen Diplomatengepäck unterwegs?« »Drei Tage, Herr Oberst, wenn jemand sie in Madrid sofort übernimmt. Auch unter schwierigsten Bedingungen nicht länger als eine Woche.« »Wann ist der nächste Zeitpunkt für unsere Funkmeldungen?« »Heute abend, Herr Oberst.«
»Gut. Funken Sie ihr folgendes verschlüsselt.« Wieder blickte Radl in angestrengtem Nachdenken zur Decke. Er versuchte, seine Gedanken möglichst knapp zu formulieren. »Sehr interessiert an Ihrem Gast vom 6. November. Möchten auf einen Sprung vorbeischauen und ihn überreden, mit uns zurückzureisen. Erwarten Ihren baldigen Bescheid mit allen nötigen Angaben auf dem üblichen Weg.« »Ist das alles, Herr Oberst?« »Ich glaube, ja.«
Es war Mittwoch, in Berlin ein regnerischer Tag, aber als Pater Philip Voreker aus dem Pfarrhaus von St. Mary kam und durch das Dorf Studley Constable hinkte, schien die Sonne.
Philip Voreker war damals ein großer, hagerer junger Mann von dreißig Jahren, die Soutane betonte noch seine Hagerkeit. Sein Gesicht war verzerrt vor Schmerz und Anstrengung, als er auf seinen Stock gestützt dahinhumpelte - kein Wunder, denn er war erst vor vier Monaten aus dem Lazarett entlassen worden.
Dem jüngeren Sohn eines Chirurgen aus der Harley Street in London und vielversprechenden Cambridge-Studenten war eine glänzende Zukunft prophezeit worden. Dann hatte er sich, zum Mißfallen seiner Eltern, für den Priesterberuf entschieden, das englische Kolleg in Rom besucht und war dem Jesuitenorden beigetreten.
1940 war er Feldgeistlicher bei den britischen Fallschirmjägern geworden und war zum erstenmal im November 1942 zum Fronteinsatz in Tunesien gekommen, wo er mit Einheiten der First Parachute Brigade zur Eroberung des Flugplatzes von Oudna, zehn Meilen vor Tunis, abgesprungen war. Aber die Einheit hatte sich über fünfzig Meilen offenen Geländes unter pausenlosem Luftbombardement und ständigem Artilleriebeschuß zurückkämpfen müssen.
Hundertachtzig Mann schafften es. Zweihundertsechzig fielen. Voreker hatte Glück gehabt; allerdings hatte ihm eine Kugel den rechten Fußknöchel zerschmettert. Bis er einen Verbandplatz erreichte, war bereits Sepsis eingetreten. Der linke Fuß wurde amputiert, und Philip Voreker war felduntauglich.
Die Pfarrei Studley Constable war ihm zugewiesen worden, weil er nicht nur körperlich ein schwerkranker Mann war, sondern auch den seelischen Schock nicht überwinden konnte. Seine Vorgesetzten hofften, das unkomplizierte Leben eines Dorfgeistlichen könne seine Genesung fördern.
Voreker wußte das und grämte sich zutiefst darüber. Es fiel ihm damals schwer, ein freundliches Gesicht zu machen, aber er lächelte doch, als er sich Park Cottage näherte und Joanna Grey auftauchen sah, die ihr Fahrrad schob und von ihrem Hund begleitet wurde.
»Wie geht es Ihnen, Pater?« sagte sie. »Ich habe Sie seit Tagen nicht gesehen.«
Sie trug Tweedrock und hochgeschlossenen Pullover unter
einem gelben Regenmantel, und um das weiße Haar war ein Seidenschal gebunden. Mit ihrer
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