Der Adler ist gelandet
herrschte eine Zeitlang leicht angespanntes Schweigen. Dann sagte Prager übergangslos: »Oberst Radl ist von der Abwehr. Er hat neue Befehle für Sie.« »Neue Befehle, Herr Oberst?«
Prager stand auf. »Oberst Radl kann Ihnen mehr darüber erzählen als ich, aber wie mir scheint, bekommen Sie eine außergewöhnliche Chance, dem Reich zu dienen.« Gericke stand ebenfalls auf, und Prager zögerte kurz, dann streckte er die Hand aus. »Sie haben sich hier sehr bewährt, Gericke. Ich bin stolz auf Sie. Und was die andere Sache betrifft, ich habe Sie dreimal vorgeschlagen, mehr kann ich nicht tun.«
»Ich weiß, Herr Oberst«, sagte Gericke, »ich bin dem Herrn Oberst sehr dankbar.«
Prager ging, und Gericke setzte sich wieder. Radl sagte: »Mit dieser Lancaster sind es jetzt achtunddreißig Abschüsse, nicht, wahr?« »Sie scheinen bemerkenswert gut informiert, Herr Oberst«, sagte Gericke. »Trinken wir ein Glas zusammen?«
»Warum nicht? Einen Cognac, würde ich sagen.« Gericke gab die Bestellung auf.
»Achtunddreißig bestätigte Abschüsse und kein Ritterkreuz«, fuhr Radl fort. »Ist das nicht ungewöhnlich?«
Gericke wand sich verlegen. »Kann schon mal passieren.« »Ich weiß«, sagte Radl. »Dazu kommt, daß Sie im Sommer 1940, als Sie Me 109 von einer Basis bei Calais aus flogen, den auf Inspektionsreise zu ihrer Staffel gekommenen Reichsmarschall darauf aufmerksam machten, die Spitfire sei Ihrer Meinung nach die bessere Maschine.« Er lächelte freundlich. »Herren seiner Größenordnung merken sich einen kleinen Offizier, der solche Äußerungen tut.«
Gericke sagte: »Dürfte ich den Herrn Oberst gehorsamst darauf hinweisen, daß bei meinem Metier nur das Heute zählt, weil ich morgen sehr leicht schon tot sein kann, und daß ich daher für baldigen Aufschluß dankbar wäre.«
»Ganz einfach«, sagte Radl. »Ich brauche einen Piloten für einen ganz besonderen Einsatz.« »Sie?«
»Nun ja, das Reich«, erwiderte Radl. »Gefällt Ihnen das besser?« »Nicht besonders«, sagte Gericke, hielt sein leeres Schnapsglas hoch und winkte damit der Ordonnanz. »Ich fühle mich hier nämlich ausgesprochen wohl.«
»Und deshalb konsumieren Sie solche Mengen Alkohol um vier Uhr morgens? Verdächtig. Aber wie dem auch sei, Sie haben keine Wahl.« »Ach nein?« sagte Gericke gereizt.
»Sie können es sich jederzeit vom Gruppenkommandeur bestätigen lassen«, sagte Radl.
Die Ordonnanz brachte den zweiten Cognac. Gericke kippte ihn bis zur Neige und verzog das Gesicht. »Herrgott, wie ich das Zeug hasse.« »Warum trinken Sie es dann?« fragte Radl.
»Weiß nicht. Vielleicht bin ich zu oft da draußen im Dunkeln oder ich fliege zu viel.« Er grinste spöttisch. »Oder vielleicht sollte ich mal Tapetenwechsel haben, Herr Oberst.«
»Ich glaube sagen zu dürfen, daß ich Ihnen den bieten kann.« »Großartig.« Gericke trank seinen Kaffee aus. »Und wie geht's jetzt weiter?«
»Ich habe um neun Uhr eine Besprechung in Amsterdam. Danach ist unser nächstes Ziel ein Ort etwa dreißig Kilometer nördlich der Stadt, auf der Strecke nach Den Helder.« Er sah auf seine Uhr. »Wir müssen spätestens um halb acht von hier weg.«
»Dann hab' ich gerade noch Zeit für ein Frühstück und ein Bad«, sagte Gericke. »Schlafen kann ich dann im Auto, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Als er aufstand, öffnete sich die Tür, und eine Ordonnanz trat ein. Der Mann salutierte und händigte dem jungen Hauptmann einen Papierstreifen aus. Gericke las und lächelte. »Etwas Wichtiges?« fragte Radl.
»Der Tommi, der aus der Lancaster abspringen konnte, die ich heute nacht abgeschossen habe. Sie haben ihn aufgefischt. Ein Navigationsoffizier.« »Glück muß der Mensch haben«, meinte Radl.
»Gilt hoffentlich auch für mich«, sagte Gericke. »Jedenfalls ist es ein gutes Omen.«
Landsvoort war ein trostloser kleiner Ort ungefähr dreißig Kilometer nördlich von Amsterdam zwischen Schagen und dem Meer. Gericke schlief während der ganzen Fahrt tief und fest und erwachte erst, als Radl ihn am Arm rüttelte.
Vor ihnen lag ein altes Bauernhaus mit Scheune, zwei mit rostigem Wellblech gedeckte Hangars und eine Rollbahn; in den Spalten des geborstenen Zements wuchs Gras. Die Stacheldrahtumzäunung wirkte nicht besonders imponierend, und das eiserne Gittertor, das neu aussah, wurde von einem Unteroffizier der Feldjäger bewacht. Er war mit einer MP bewaffnet und hielt einen gefährlich aussehenden deutschen Schäferhund an einer
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