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Der Afghane

Der Afghane

Titel: Der Afghane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Welt gesandt werden, wo man sie aufzeichnen und veröffentlichen würde.
    Mike Martin wusste, was er da mit ansah. Für Terroristen sind Internet und Cyberspace unentbehrliche Propagandawaffen geworden. Jede Gräueltat, die in den Nachrichten erscheint, ist von Vorteil, jede Gräueltat, die von Millionen muslimischer Jugendlicher in siebzig Ländern gesehen wird, ist reiner Goldstaub. Denn daher kommen die Rekruten: Sie sehen, was passiert, und lechzen danach, es nachzuahmen.
    Auf Forbes Castle hatte Martin Videoaufzeichnungen aus dem Irak gesehen: Selbstmordattentäter grinsten in die Kamera, bevor sie wegfuhren, um vor laufenden Kameras zu sterben. In solchen Fällen überlebte der Kameramann. Hier bei dem kreisenden Schnellboot war klar, dass das Ziel des Angriffs ebenfalls im Bild sein musste und das Fotografieren zu Ende sein würde, wenn das Boot mit den sieben Mann vernichtet wäre. Nur Ibrahim, so schien es, würde an Bord des Schiffes und am Steuer bleiben.
    Aber Martin wusste immer noch nicht, wann und wo es geschehen würde und welches Grauen sich in den Containern verbarg. Er zog eine Möglichkeit in Betracht: Er könnte als Erster wieder an Bord klettern, die Leine des Schlauchboots loswerfen, Ibrahim umbringen und den Frachter übernehmen. Doch dabei hätte er keine Chance. Das Boot war so schnell, dass die sechs Männer in Sekundenschnelle über die Reling entern würden.
    Als die Übung vorbei war, blieb das Schnellboot leer an den Davits hängen und sah aus wie ein gewöhnliches Rettungsboot. Der Ingenieur stellte die Maschinen auf volle Kraft, und die Countess fuhr auf Nordwestkurs an der Küste von Senegal vorbei.
    Nachdem er sich von seiner Seekrankheit erholt hatte, verbrachte Jusuf Ibrahim mehr Zeit auf der Brücke und in der Messe, wo die Crew ihre Mahlzeiten einnahm. Die Atmosphäre war ohnehin über alle Maßen angespannt, was durch seine Anwesenheit noch verstärkt wurde.
    Alle acht Männer an Bord hatten beschlossen, als schahid zu sterben – als Märtyrer. Aber das änderte nichts daran, dass das Warten und die Langeweile an ihren Nerven zerrten. Nur das ständige Beten und die obsessive Koranlektüre machten es ihnen möglich, ruhig zu bleiben und den Glauben an das, was sie taten, zu bewahren.
    Niemand außer Ibrahim und dem Sprengstoffingenieur wusste, was sich in den Stahlcontainern verbarg, die von der Brücke der Countess of Richmond fast bis zum Bug reichten. Und nur Ibrahim schien ihr Ziel und ihren Auftrag zu kennen. Die anderen sieben mussten auf das Versprechen vertrauen, dass ihr Ruhm ewig währen würde.
    Als der Kommandant der Operation wieder bei ihnen war, merkte Martin schon nach wenigen Stunden, dass Ibrahims leerer, verrückter Blick ständig auf ihn gerichtet war. Es war nur menschlich, dass dieses Phänomen ihn nervös machte.
    Beunruhigende Fragen plagten ihn. War Ibrahim in Afghanistan vielleicht doch mit Izmat Khan zusammengetroffen? Würde sich Martin demnächst vielleicht mit Fragen konfrontiert sehen, die er einfach nicht beantworten konnte? Hatte er beim unablässigen Rezitieren der Gebete vielleicht doch einmal einen winzigen Fehler gemacht? Würde Ibrahim ihn prüfen, indem er ihn aufforderte, Passagen zu rezitieren, die er nicht auswendig gelernt hatte?
    Tatsächlich hatte er mit diesen Gedanken halb Recht, halb Unrecht. Der jordanische Psychopath, der ihm da am Tisch in der Messe gegenübersaß, hatte Izmat Khan nie gesehen, aber er hatte von dem legendären Taliban-Kämpfer gehört. Und Martin hatte beim Beten keinen Fehler gemacht. Ibrahim hasste den Paschtunen einfach wegen seines im Kampf erworbenen Ansehens, das er selbst nie bekommen hatte. Aus diesem Hass erwuchs der Wunsch, der Afghane möge am Ende doch ein Verräter sein, den er demaskieren und töten könnte.
    Aber aus einem der ältesten Gründe der Welt hielt er seine Wut im Zaum: Er hatte Angst vor dem Mann aus den Bergen, und obwohl er in einer Schärpe unter seinem Gewand eine Pistole trug und ohnehin zu sterben geschworen hatte, konnte er seine Ehrfurcht vor dem Mann aus Tora Bora nicht unterdrücken. Also brütete er und starrte ihn an, wartete ab und behielt seine Gedanken für sich.
     
    Zum zweiten Mal war die Suche des Westens nach dem Geisterschiff, falls es existierte, vollständig ins Leere gegangen. Steve Hill wurde mit Informationsersuchen bombardiert. Alles war recht, um die Frustration zu beschwichtigen, die bis in die Downing Street hinaufreichte.
    Aber er hatte keine Antwort

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