Der Afghane
Rückkehr überreden und eröffnete eine zweite Front im Nordwesten als Ergänzung zu Fahids Front im Nordosten. Und im November begann der Großangriff. Entscheidendes Instrument dabei war die Zielmarkierung, eine Technologie, die die Kriegführung seit dem ersten Golfkrieg 1991 im Stillen revolutioniert hatte.
Unsichtbar und versteckt unter den alliierten Streitkräften spähen Spezialisten der Special Forces durch starke Ferngläser, um die feindlichen Stellungen, Geschütze, Panzer, Munitionslager, Reserven, Nachschubwege und Kommandobunker zu identifizieren. Jedes dieser Ziele wird mittels eines auf der Schulter getragenen Projektors durch einen Infrarot-Punkt markiert, und über Funk wird dann ein Luftangriff veranlasst.
Bei der Vernichtung der Taliban-Armee, die der Nordallianz gegenüberstand, kamen diese Luftangriffe entweder aus dem tiefen Süden, wo die Flugzeugträger der amerikanischen Marine vor der Küste lagen, oder sie erfolgten durch die panzerknackenden A-10-Jagdbomber, die gegen ein stattliches Entgelt in Usbekistan starten durften. Einheit für Einheit wurde die Taliban-Armee weggefegt mit Bomben und Raketen, die durch den Infrarotstrahl unfehlbar ins Ziel gesteuert wurden, und die Tadschiken gingen triumphierend zum Angriff über.
Izmat Khan zog sich immer weiter zurück. Stellung um Stellung wurde zerstört und ging verloren. Zu Anfang war die Taliban-Armee im Norden über dreißigtausend Mann stark, aber sie verlor täglich tausend davon. Es gab keine Medikamente, keine Evakuierungsmöglichkeiten, keine Ärzte. Die Verwundeten sprachen ihre Gebete und starben wie die Fliegen. Die andern schrien Allahu akhbar und rannten in den Kugelhagel.
Die ursprünglichen Freiwilligen der Taliban-Armee waren längst verbraucht. Von ihnen waren nur noch wenige übrig. Rekrutierungseinheiten hatten Zehntausende zum Militärdienst gepresst, aber viele von denen wollten nicht kämpfen. Die echten Fanatiker wurden immer weniger. Und immer noch musste Izmat Khan weiter zurückweichen. In jedem Gefecht sah er sich wieder an vorderster Front, und jedes Mal war er überzeugt, dass er nicht einen Tag länger würde durchhalten können. Am 18. November hatten sie die Stadt Kundus erreicht.
Durch eine Laune der Geschichte ist Kundus eine kleine Enklave von Angehörigen des Gilzai-Stammes aus dem Süden, lauter Paschtunen in einem Meer von Tadschiken und Hazara. Deshalb fand die Taliban-Armee dort Zuflucht. Und dort kapitulierte sie.
Für Afghanen ist nichts Unehrenhaftes an einer ausgehandelten Kapitulation, und wenn man sich über die Bedingungen einig ist, werden sie auch eingehalten. Die gesamte Taliban-Armee ergab sich General Fahim, und zum Ärger seiner amerikanischen Berater nahm Fahim die Kapitulation an.
Innerhalb der Taliban gab es zwei nichtafghanische Gruppen. Die eine bestand aus sechshundert Arabern, lauter treuen Anhängern Osama bin Ladens, der sie hergeschickt hatte. Weit über dreitausend Araber waren bereits gefallen, und die Amerikaner würden keine bitteren Tränen vergießen, wenn auch der Rest noch zu Allah heimkehrte.
Die zweite Gruppe umfasste ungefähr zweitausend Pakistani, und sollten sie entdeckt werden, würde Islamabad in entsetzliche Verlegenheit geraten. Der pakistanische Regierungschef General Musharraf war nach 9/11 vor eine klare Entscheidung gestellt worden: Er konnte ein treuer Verbündeter der USA werden und dafür Milliarden Dollar Finanzhilfe kassieren, oder er konnte (über seinen Geheimdienst ISI) weiterhin die Taliban und somit Bin Laden unterstützen und die unmittelbaren Folgen tragen. Er entschied sich für die USA.
Aber der ISI unterhielt immer noch ein kleines Heer von Agenten in Afghanistan, und die pakistanischen Freiwilligen, die bei den Taliban kämpften, würden ohne Zögern zugeben, dass man sie einst ermutigt hatte, in den Norden zu gehen. Innerhalb von drei Nächten wurden die meisten von ihnen über eine geheime Luftbrücke nach Pakistan zurückbefördert.
In einem anderen verdeckten Handel wurden rund viertausend Gefangene – zu unterschiedlichen Preisen, je nach Begehrtheit – an die USA und an Russland verkauft. Die Russen nahmen jeden Tschetschenen und (um Taschkent gefällig zu sein) jeden Usbeken, der gegen Taschkent operierte.
Die Armee, die kapituliert hatte, war über vierzehntausend Mann stark gewesen, aber ihre Zahl schrumpfte zusehends. Am Ende verkündete die Nordallianz vor der Weltpresse, die in den Norden strömte, um über den
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