Der Afghane
fiel in den Schutt, Blut strömte aus der Wunde. Die anderen wurden zu den draußen wartenden Lastwagen geführt.
Eine Stunde später wanderten die sieben britischen Soldaten durch das Festungsgelände und machten sich Notizen. Mike Martin als leitender Offizier, auch wenn er formal nur der Dolmetscher der Einheit war, würde einen umfangreichen Bericht schreiben müssen. Er zählte die Toten, aber er wusste, dass Dutzende, vielleicht an die zweihundert, unter der Erde liegen mussten. Eine Gestalt, die da am Boden lag, interessierte ihn. Sie blutete. Leichen bluten nicht.
Er drehte die Vogelscheuche auf den Rücken. Die Kleidung stimmte nicht, war eine paschtunische Tracht. Hier sollten keine Paschtunen sein. Martin wickelte seinen shemagh ab und wischte damit über das dreckverschmierte Gesicht. Irgendwie kam ihm der Mann bekannt vor.
Als er sein Kampfmesser aus dem Gürtel zog, grinste ein Usbeke, der ihn beobachtete. Wenn der Ausländer ein bisschen Spaß haben wollte – warum nicht? Martin schnitt das rechte Hosenbein bis zum Oberschenkel auf.
Sie war noch da, wulstig von sechs Nähten: die Narbe, die ein sowjetischer Granatsplitter dreizehn Jahre zuvor hinterlassen hatte. Zum zweiten Mal im Leben warf er Izmat Khan über die Schulter und trug ihn wie ein Feuerwehrmann zum Haupttor, wo ein weißer Landrover mit dem Zeichen der Vereinten Nationen stand.
»Dieser Mann lebt, aber er ist verwundet«, sagte er. »Er hat eine schwere Kopfverletzung.«
Seine Pflicht war getan. Er stieg in den Landrover der SBS und fuhr zurück nach Bagram.
Ein amerikanisches Aufräumkommando fand den Afghanen drei Tage später im Lazarett in Mazar und nahm ihn in Gewahrsam, um ihn zu verhören. Die Amerikaner brachten ihn nach Bagram, jedoch auf ihre Seite der riesigen Luftwaffenbasis, und dort auf dem Boden einer behelfsmäßigen Zelle kam Izmat zwei Tage später langsam und benommen wieder zu sich, frierend und gefesselt, aber noch am Leben.
Am 14. Januar 2002 trafen die ersten Häftlinge aus Kandahar in Guantanamo Bay auf Kuba ein, mit verbundenen Augen, gefesselt, hungrig, durstig und schmutzig. Izmat Khan war einer von ihnen.
Colonel Mike Martin kehrte im Frühjahr 2002 nach London zurück und arbeitete drei Jahre als Stellvertretender Stabschef im Hauptquartier der Special Forces in den Duke of York Barracks in Chelsea. Im Dezember 2005 schied er aus dem Militärdienst aus. Bei der Abschiedsparty versuchte eine Gruppe von Freunden, darunter Jonathan Shaw, Mark Carleton-Smith, Jim Davidson und Mike Jackson, erfolglos, ihn unter den Tisch zu trinken. Im Januar 2006 kaufte Martin eine denkmalgeschützte Scheune im Meontal in Hampshire, und im Spätsommer fing er an, sie zu einem Wohnhaus umzubauen.
Aus UN-Unterlagen ging später hervor, dass in Qala-i-Jangi 514 al-Qaida-Fanatiker starben und 86 überlebten, ausnahmslos verwundet. Alle 86 kamen nach Guantanamo Bay. Sechzig usbekische Gefängniswachen fielen ebenfalls. General Rashid Dostum wurde Verteidigungsminister der neuen afghanischen Regierung.
DRITTER TEIL
CROWBAR
ACHT
Operation Crowbar benötigte als Erstes eine Tarngeschichte, damit selbst diejenigen, die daran mitarbeiteten, nichts über Mike Martin und den Plan, al-Qaida mit einem Doppelgänger zu infiltrieren, erfuhren.
Man entschied sich für die »Legende«, dass es sich um ein angloamerikanisches Joint Venture handelte. Sein Zweck sei der Kampf gegen die wachsende Bedrohung durch das Opium, das aus den afghanischen Mohnfeldern in die Rauschgiftlabors des Nahen Ostens strömte. Das dort raffinierte Heroin gelangte in den Westen, wo es Menschenleben zerstörte und das Kapital für weitere Terrorakte beschaffte.
Die westlichen Bemühungen, hieß es in dem »Skript« weiter, den Terroristen auf der Ebene der internationalen Banken den Geldhahn zuzudrehen, hätten die Fanatiker veranlasst, sich dem Rauschgifthandel zuzuwenden, in dem alle Geschäfte in bar abgewickelt würden.
Obgleich der Westen bereits über mächtige Drogenbekämpfungsbehörden wie die amerikanische DEA und den britischen Zoll verfüge, seien die beiden Regierungen übereingekommen, Operation Crowbar als spezifisches, zielgerichtetes Unternehmen einzusetzen, das mit verdeckten Kräften außerhalb diplomatischer Formalitäten gegen Drogenfabriken in all denjenigen Ländern vorgehen würde, die vor diesen Geschäften ein Auge zudrückten.
Zu diesem Zweck, so die Version für die Crowbar-Mitarbeiter, würde man mit allen
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