Der Agent - The Invisible
er wusste, wie lange er unter Umständen noch warten musste. Aber er war an ausgedehnte Perioden des Nichtstuns gewöhnt, das brachten Vor-Ort-Einsätze mit sich. Trotzdem war er auch darauf vorbereitet, dass jeden Augenblick etwas Gefährliches passieren konnte. Das lag in
der Natur seines Berufs, und Lieutenant Colonel Paul Owen war perfekt geeignet für diese Profession.
In dem noch ziemlich jungen Alter von zweiundvierzig Jahren hatte Owen bereits die hageren Züge und die müden Augen eines deutlich älteren Mannes, dem kürzlich etwas Schlimmes widerfahren war, vielleicht eine Erkrankung an Krebs oder der Verlust eines Kindes. Tatsächlich waren die abgehärmten Züge eine indirekte Folge dessen, was er als Soldat gesehen hatte, in Afghanistan, im Irak oder in Sarajewo, wo er mit der SFOR zusammengearbeitet hatte, der multinationalen Friedenstruppe, die während der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre in Bosnien-Herzegowina im Einsatz war. Während seiner zwanzig Jahre bei der Army hatte er zahllose entsetzliche Dinge gesehen, Vergewaltigung, Mord und Völkermord, doch er war auch in der privilegierten Position gewesen - zumindest sah er selbst es so -, die am besten ausgebildeten Soldaten der Welt befehligen zu dürfen. Oft war es schwierig gewesen, aber er hatte seine Berufswahl nie bereut.
Was nicht hieß, dass er es nicht bedauerte, mit dem ein oder anderen während dieser Zeit zusammengearbeitet zu haben. Ryan Kealey war seinerzeit einer der Männer, die seinem Befehl unterstanden, zuerst in Fort Carson in Colorado, wo sie beide bei der 10th Special Forces Group dienten, später in Fort Bragg, wo sie zur 3rd SFG gehörten. Zuerst war Owen beeindruckt von Kealeys Fähigkeit, Soldaten zu führen und schnell effektive taktische Entscheidungen zu treffen, sowohl bei Manövern als auch im Ernstfall. Aus diesem Grund hatte er sich persönlich für eine schnelle Beförderung des jungen First Lieutenant eingesetzt, doch bevor es dazu kam, hatte Kealey den ersten von zwei schweren Fehlern gemacht, die seine Laufbahn bei der Army schon beendeten, bevor sie richtig begonnen hatte.
Der erste Vorfall ereignete sich wahrend der letzten Monate des Bosnienkriegs in Sarajewo. Im September 1995 war Kealey in den Mord an einem serbischen Warlord namens Stojanovic verwickelt, der ein dreizehnjähriges Mädchen vergewaltigt und umgebracht hatte. Die Besonderheiten des Falles wurden nicht in Betracht gezogen. Es spielte keine Rolle, dass Stojanovic nur bekommen hatte, was er verdiente, und es war auch nicht weiter wichtig, dass der Vorwurf, Kealey sei schuldig, mitnichten hieb- und stichfest war. Es zählte nur, dass der Vorfall eine schon explosive Situation weiter verschlimmern konnte. Noch wichtiger war vielleicht, dass es ein schlechtes Licht auf die U.S. Army und ihre der multinationalen Truppe der NATO unterstellten Soldaten geworfen hätte, wenn der Vorfall publik geworden wäre. Kealey wurde zwar nicht vor ein Militärgericht gestellt, dafür aber im Herbst 2001 still und heimlich aus der Army entlassen. Davor hätte ihn eine katastrophal fehlgeschlagene Operation in Syrien fast noch das Leben gekostet. Damit war es mit seiner militärischen Laufbahn endgültig vorbei. Trotzdem, Kealey war ein bestens ausgebildeter Spezialist, und es dauerte nicht lange, bis er einen neuen Job bei der CIA fand, für die er zuvor schon sporadisch gearbeitet hatte.
Auch Owen war vom amerikanischen Auslandsgeheimdienst schon für ein paar verdeckte Operationen rekrutiert worden, unter anderem in Somalia, wo er eine kleinere Rolle bei der Schlacht von Mogadischu und jenen Ereignissen spielte, die schließlich zu dem desaströsen Konflikt führten. Seit Kealeys Entlassung aus der Army hatten sie bei verschiedenen Gelegenheiten zusammengearbeitet, Kealey als eine Art Freelancer, er als aktiver Offizier, der zeitlich befristet zur CIA abkommandiert wurde. Bei den ersten beiden Operationen ging
alles glatt, doch die dritte - ein Treffen mit einem ehemaligen General der irakischen Republikanischen Garde im Vorjahr - hatte seine Meinung über seinen ehemaligen Untergebenen grundlegend geändert, und nicht im positiven Sinne.
Mittlerweile beobachtete er das Haus seit zwei Stunden, wobei er etwa alle zwanzig Minuten die Position gewechselt hatte. Drei andere Agenten, Mark Walland eingeschlossen, observierten das Haus ebenfalls. Walland war auf dem Platz unterwegs, während die anderen beiden auf der anderen Seite des Hauses postiert waren. Es
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