Der Agent - The Invisible
gesehen, dachte er.
Es war der letzte bewusste Gedanke. Der Soldat sprang herbei, um ihn zu stützen, doch seine Beine gaben bereits nach. Der dunkle Nachthimmel wurde von einer tieferen Finsternis verschluckt, alles war pechschwarz.
Als er auf dem Boden aufschlug, war er schon bewusstlos, und er hörte nicht mehr, wie der Soldat über Funk einen Sanitäter anforderte, der zwanzig Sekunden später eintraf. Er sah eine solche Wunde nicht zum ersten Mal und konnte die Gefahr realistisch einschätzen. Jetzt galt es, um jeden Preis das Leben dieses Mannes zu retten, und er machte sich hektisch an die Arbeit.
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Washington, D. C.
Um kurz nach eins mittags wurde Jonathan Harper von der Sekretärin des Präsidenten ins Oval Office geführt. Es war das erste Mal, dass er sich ganz allein dort aufhielt, und es würde wahrscheinlich noch zehn Minuten dauern, bis Brenneman kam, der vor Dutzenden von Journalisten im Garten des Weißen Hauses eine Erklärung abgab. Ein guter Tag, in mehr als einer Hinsicht, musste Harper einräumen. Zumindest war das in Washington die vorherrschende Meinung an diesem warmen Dienstagmittag. Durch die hohen Fenster hinter dem Präsidentenschreibtisch sah er vor dem Hintergrund eines strahlend blauen Himmels Sonnenstrahlen durch die Bäume brechen. Doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte sich an dem malerischen Ausblick nicht erfreuen.
Trotz der vielen Fehler bei der Durchführung galt die Operation des Vortages offiziell als Erfolg. Selbst Harper musste zugeben, dass sich aus einer objektiven Sicht alles als Sieg auf ganzer Linie betrachten ließ. Brynn Fitzgerald war befreit, Amari Saifi tot, Benazir Mengal in Gewahrsam. Der ehemalige pakistanische General hatte bereits gesagt, wo sich die entführten amerikanischen Touristen befanden - in einem abgeschiedenen Dorf im Karakorumgebirge -, und eine zweite Befreiungsoperation wurde bereits vorbereitet. Und am beeindruckendsten war, dass all das mit einem minimalen Verlust an Menschenleben erreicht worden war. Doch das, dachte
er ernüchtert, war die offizielle Version, und wenn man sich ansah, wer sein Leben verloren hatte, erschien die Operation nicht mehr als ganz so großer Erfolg. Und doch, für den Präsidenten - und die amerikanische Öffentlichkeit - hing der Erfolg von der Befreiung der Außenministerin ab, und die war gelungen.
Als die Elitesoldaten nach Bagram zurückkehrten, wartete dort eine Maschine des Außenministeriums, die ein Ärzteteam und ein neues Personenschutzkommando eingeflogen hatte. Von dort war Fitzgerald zum Militärkrankenhaus des Luftstützpunkts Ramstein in Deutschland gebracht worden, wo sie gegenwärtig in einem abgeschlossenen Trakt behandelt wurde. Sie hatte die Entführung halbwegs gut überstanden, obwohl die Ärzte kürzlich erlittene Verletzungen diagnostizierten, von denen zumindest zwei potenziell lebensbedrohlich waren. Zumindest wären sie es gewesen, wenn es nicht schon einen Arzt gegeben hätte, der sich ihrer angenommen hatte. Um diese speziellen Probleme, einen partiellen Kollaps der linken Lunge und eine Herzbeuteltamponade - hatte sich in Pakistan ein Chirurg namens Said Kureshi gekümmert. Auf fachmännische Weise, wie die Ärzte in Ramstein widerwillig einräumen mussten, doch Kureshis Bemühungen reichten nicht, um sie vollständig zufriedenzustellen. Sie machten es sich zu einem persönlichen Anliegen, das zu finden, was Kureshi übersehen hatte.
Nach ihrer Ankunft war die Außenministerin noch einmal komplett untersucht worden, und dabei wurden zwei gebrochene Rippen, ein angeknackster Wangenknochen und ein Haarriss im linken Schienbein entdeckt. Darüber hinaus wurde das Anfangsstadium einer posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert, einhergehend mit einer möglicherweise
psychotischen Depression. Erst mit der Zeit würde sich zeigen, welche psychischen Schäden sie infolge der Entführung erlitten hatte, doch die Psychiater hatten bereits ernsthafte Sorgen artikuliert. Erste Berichte über das, was sie durchgemacht hatte, waren an diesem Morgen durchgesickert, und sie waren drastisch genug, um bei der Bevölkerung auf breiter Front emotionale Reaktionen zu provozieren. Hunderttausende von Bürgern aus dem ganzen Land hatten bei Rundfunk- und Fernsehsendern angerufen, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen. Harper war einer der wenigen, dem derlei Gefühle eher fremd waren, hauptsächlich deshalb, weil er in der Lage war, alles in den richtigen Dimensionen zu sehen.
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