Der Agent - The Invisible
handeln.«
»Moment«, sagte Walland eindringlich. »Kealey, du …«
Der hörte den Rest des Satzes nicht mehr. Sein rechter Fuß war gegen den Stein gestemmt. Er benutzte ihn als Startblock, katapultierte sich in die Höhe und rannte los. Sein Blick glitt über das nasse, hüfthohe Gras vor ihm. Schon nach ein paar Schritten hörte er etwas über seine Schulter pfeifen, unmittelbar darauf das Krachen eines Scharfschützengewehrs. Massi rief etwas wie »Ich sehe ihn, ich sehe ihn!«, und wieder pfiff eine Kugel dicht an seinem Körper vorbei. »Da ist noch einer!«, hörte er Owen schreien. »Ein zweiter Scharfschütze, auch links …«
Kealey rannte im Zickzackkurs, damit er weniger leicht zu treffen war. Sein Herz klopfte wie wild, er bekam kaum Luft. Für ihn bestand kein Zweifel, dass sein Ende nah, nur noch Augenblicke entfernt war. Er hörte das Knattern automatischer Waffen, dann wieder das Krachen eines Gewehrs, doch die Geräusche drangen wie aus weiter Ferne an sein Ohr. Es kam ihm so vor, als wäre er, nur weil er rannte, der Situation irgendwie entrückt. Ein dummer Gedanke. Wenn ihn einer der beiden Scharfschützen im Visier hatte, würde er sofort abdrücken, und wahrscheinlich verfolgten ihn ihre Blicke gerade.
»Ich hab einen erwischt«, hörte er Massi schreien.
Owen rief: »Ich sehe ihn nicht. Das Arschloch ist ins Gras gefallen …«
»Links, Ryan«, warnte Walland. »Pass auf, was links …«
Kealey riss das Gewehr hoch, ohne seinen Sprint zu verlangsamen, aber Walland war schneller. In seinem Rücken hörte er einen kurzen Feuerstoß. Durch das Zielfernrohr sah er gerade noch, wie ein Mann ins Gras fiel. Das grünstichige Bild tanzte wie wild vor seinen Augen auf und ab. Er riss die Waffe nach rechts, als er plötzlich eine dunkle Silhouette vor dem Hintergrund der Lichter in Kureshis Garten sah. Er feuerte sofort, ohne das Zielfernrohr zu Hilfe zu nehmen, genau in dem Moment, als auch der Wachtposten auf den Abzug seines AK-47 drückte. Der Mann schrie auf und stürzte, noch ein halbes Dutzend Mal feuernd.
Er rannte weiter. Ein paar Augenblicke später hatte er den Garten erreicht und sprintete die Anhöhe hinauf. Oben angekommen, platzten seine Lungen fast, und als er zwischen Haus und Scheune hindurcheilte, sah er auf einem holprigen Weg einen schwarzen Lieferwagen, dessen Reifen in dem Matsch durchdrehten. Der Fahrer manövrierte den Wagen mehr in die
Mitte, und plötzlich fassten die Reifen. Das Fahrzeug machte einen Satz nach vorn und beschleunigte. Vermutlich war es etwa fünfundsiebzig Meter entfernt.
»Sie hauen ab«, schrie er in sein Mikrofon. »Wiederhole, sie hauen ab …«
Er riss das Gewehr hoch, nahm einen Hinterreifen ins Visier und feuerte ohne Unterlass, permanent den Rückstoß in seiner Schulter spürend. Dann platzte der Reifen auf der Beifahrerseite. Der Lieferwagen scherte aus, kam von der Straße ab, landete in einer Mulde und kippte mit einem schmatzenden Geräusch auf die Seite. Das Knirschen brechenden Glases wurde durch das hohe Gras gedämpft. Er war versucht, noch einmal abzudrücken - er hatte einen guten Blick auf die Tür auf der Beifahrerseite, die jetzt oben war. Aber er wusste nicht, wo in dem Fahrzeug sich Fitzgerald befand, und konnte es nicht riskieren, sie versehentlich zu treffen. Als er langsam nach links ging, mit erhobenem Gewehr, hörte er über seinen Ohrhörer Wallands Stimme.
»Was ist los, Ryan? Wo sind sie?«
»In einem Lieferwagen, aber ich habe einen Hinterreifen zerschossen …«
Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. In dem Augenblick, als er den Blitz sah, warf er sich zu Boden, aber es war zu spät. Er spürte etwas in seine linke Seite einschlagen, doch er konnte nicht hinsehen, weil er sich zur Seite rollen und den Kugeln ausweichen musste, die neben ihm Schlamm aufspritzen ließen. Wo kam die Kugel her? Die Frage wiederholte sich in seinem Kopf wie in einer Endlosschleife, doch dann kehrte die Erinnerung blitzartig zurück. In dem Moment, als er durch Wallands Funkspruch abgelenkt war, hatte sich die Hecktür des Lieferwagens geöffnet, und mindestens eine Person war
herausgetaumelt. Oder waren es zwei …? Und wenn ja, welche beiden?
Er hatte die Frage immer noch nicht beantwortet, als etwas Großes und Dunkles über das Haus glitt, begleitet von dem unverwechselbaren Dröhnen zweier Turbinenstrahltriebwerke. Noch immer auf dem Boden liegend, hob er den Blick zu dem dunklen, regnerischen Himmel und beobachtete, wie der
Weitere Kostenlose Bücher