Der Agent - The Invisible
verfluchte die Trennwand, durch die sie trotz der Öffnung keine gute Sicht hatte. Sie blickte durch die Windschutzscheibe und versuchte zu erraten, wo genau sie sich befanden. Es kam ihr so vor, als wären sie in der Nähe des Tores. Aber es war das falsche Tor, sie waren an der westlichen Seite der Baustelle. »Hören Sie, wir wenden und fahren noch einmal um den Block. Dann rufen Sie an und sagen Bescheid. Sie sind besser dran, wenn sie wissen, wo wir sind.«
Ramirez schwieg, konzentriert nachdenkend. Es war unübersehbar, dass er sich unwohl fühlte, aber gegen ihre Worte ließ sich kaum etwas sagen. »Meinetwegen.« Er schaltete in den ersten Gang und fädelte sich wieder in den Verkehr ein. Ein paar Augenblicke später bogen sie auf die Calle de San Bernardino ein. Kharmai studierte gerade eine Luftaufnahme der Baustelle und der umliegenden Straßen, als Ramirez einen ordinären Fluch ausstieß. Dann hörte sie die Sirenen. Es lief ihr kalt den Rücken hinab, aber sie ignorierte es und blickte erneut
durch die Windschutzscheibe. Zwei in Richtung Westen fahrende Streifenwagen der spanischen Polizei bogen scharf nach links ab, auf die Calle San Leonardo de Dios.
»Mist«, stöhnte Kharmai. »Sie waren schneller als wir.«
»Das war’s dann wohl«, verkündete Ramirez, krampfhaft das Lenkrad umklammernd. Er wirkte auf eine seltsame Weise erleichtert. »Jetzt sind sie auf sich allein gestellt. Wir können nichts mehr für sie tun.«
»Nein, fahren Sie weiter«, befahl Kharmai, an die Luftaufnahme denkend. »Bis zur nächsten Straßenecke, dann rechts abbiegen. Wir werden uns der Baustelle von Süden nähern.«
»Haben Sie den Verstand verloren?« Ramirez drehte den Kopf und starrte sie an, ungeachtet des Tempos, mit dem sie auf der viel befahrenen Straße unterwegs waren. »Diese Operation ist geplatzt. Wir müssen uns sofort zurück…«
»Unsere Sachen im Hotel sind bereits gepackt. Wir riskieren nichts. Sagen Sie den anderen, dass sie verschwinden sollen, aber wir bleiben hier.« Ramirez’ Miene verfinsterte sich erneut, und er wollte etwas sagen, doch Kharmai kam ihm zuvor. »Na los, Ramirez«, sagte sie leise. »Rufen Sie an. Jetzt sofort. Ansonsten werde ich Harper persönlich erzählen, dass Sie den Schwanz einziehen und abhauen wollten. Kapiert?«
»Scheiße!« Ramirez schlug mit der Hand auf das Lenkrad. Dann nahm er sein Handy vom Beifahrersitz, drückte auf einen Knopf und sprach leise. Kharmai hielt den Atem an, als sie an der Stelle vorbeikamen, wo die Streifenwagen abgebogen waren. Jetzt war die nächste Kreuzung entscheidend, doch als sie sich näherten, verlangsamte Ramirez das Tempo, um abzubiegen. Sie atmete erleichtert auf. Wenn sie rechtzeitig ihr Ziel erreichten, hatte Ryan vielleicht noch eine Chance, mit heiler Haut davonzukommen.
In dem Wohncontainer stand Pétain wieder am Fenster und spähte besorgt durch die Lücke zwischen zwei Lamellen der Jalousie. Kamil Ghafour saß auf dem Boden, mit dem Rücken an dem billigen hölzernen Schreibtisch lehnend. Vor ihm stand Kealey, sein Gesicht betrachtend. Der Algerier war bleich und schwitzte stark, aber er hatte die Augen geöffnet, und sein Blick wirkte nicht benebelt. Das Epinephrin zeigte die gewünschte Wirkung, doch trotz des Druckverbands blutete die Beinwunde weiter. Noch schlimmer war, dass die Polizei jeden Augenblick da sein konnte. Kealey wusste, dass er sie eine Weile aufhalten konnte, doch wenn Ghafour unterdessen starb, änderte das die Lage dramatisch, und nicht zum Besseren.
Er kniete vor dem Algerier nieder und blickte ihm in die Augen. »Hören Sie mich, Ghafour?«
Ein leerer Blick. Dann zuckten Ghafours Lippen, und er nickte schwach.
»Sagen Sie, dass Sie mich verstehen. Ich will Ihre Stimme hören.«
»Ja. Ich verstehe Sie.«
»Okay. Hören Sie jetzt gut zu.« Kealey bemühte sich, seine Stimme ruhig und entschlossen klingen zu lassen. Das würde helfen, dem Algerier den Ernst der Lage klarzumachen. »Sie werden vielleicht sterben, Ghafour.«
Der sachliche Ton hatte die beabsichtigte Wirkung. Ghafours Augen wurden etwas größer, doch sonst zeigte er keine Reaktion.
»Ich habe einen Druckverband angelegt«, fuhr Kealey fort, »aber die Oberschenkelarterie ist halb zerfetzt. Sie verbluten. Ohne ärztliche Betreuung sind Sie in zwanzig Minuten tot.« Tatsächlich würde es nicht annähernd so lange dauern, aber er durfte Ghafour die Hoffnung nicht nehmen.
»Ich brauche …« Ghafours Kopf sackte herab, und er
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