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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Schritte vor ihm auf der Staffelei stand. Wenn er sich überhaupt einmal regte, dann einzig, um seinen Hals gerader zu recken oder seine Schultern wieder zu straffen, die unter der Last der Fürstenkrone zu erschlaffen drohten.
      Puppenmacher, dachte d’Alembert mit einem Mal, so nennt sich der Magister ja mit fürchterlichem Recht: nicht weil er tote Puppen lehrt, sich zauberisch zu regen, sondern umgekehrt – weil er aus beseelten Menschen stumpfe Puppen macht, aus Flor, aus Julius, und gewiss aus tausend anderen.
    Der Gedanke erschreckte ihn, und er grübelte noch darüber, als die Stradová ihn schon mit weiteren Vorwürfen beschoss, mit erhobener Stimme, um den heiligen Gesang zu übertönen:
    »Ihr hättet mir ein Zeichen senden müssen, Maître, einen Hilferuf! Ich hab mich auf Euch verlassen, zwanzig Jahre lang! Immer habt Ihr Euch mit mir beraten, wenn die Dämonen ihn wieder einmal plackten – warum diesmal nicht? Wieso habt Ihr zugelassen, dass der schreckliche Magister sich mit seinen schwärzesten Geistern verbündete, sie bestärkte und zum Ausbruch trieb? Warum nur habt Ihr mich diesmal nicht gerufen, weshalb habt Ihr mir keinen Boten geschickt – oder erst, als die Teufel schon Wochen und Wochen wüteten?«
    D’Alembert senkte den Kopf. »Aus Angst und aus Stolz, Madame. Ihr seht, ich offenbare Euch mein Herz wie stets: Ich schwieg aus Angst, dass der väterliche Zorn ihn vollends vernichten müsste, wenn nach dem letzten Prager Zwischenfall noch weit ärgere Kabalen ruchbar würden. Und ich schwieg aus Hoffart, Katharina: Tatsächlich hoffte ich bis zuletzt, dass ich, ich allein die tausend Teufel bezwingen könnte, die Dämonen in Julius’ Seele und den Satan Hezilow dazu. Doch so viel Selbstgefälligkeit fordert den Spott der Götter heraus. Sie straften mich und rissen Euren Sohn mit ins Verderben.«
    Er blickte auf und sah die Ungeduld in ihrem Blick. Sie glaubt mir kein Wort, dachte d’Alembert, und mit einem Mal war es ihm gleich. Haltet mich für einen Verräter, für einen eitlen Schwätzer, was immer Euch beliebt. Ich bin müde, Katharina. Das ganze bunte Maskenspiel, das Ihr noch immer Eure Welt nennt: vorbei.
    Katharina da Strada beugte sich aufs Neue vor, um ihn mit einem weiteren Schwall wohlerwogener Vorwürfe zu übergießen. »Die Schatztruhen geplündert«, glaubte d’Alembert zu verstehen, »das gesamte gräfliche Vermögen an den russischen Betrüger vertan!« Doch Johanna und ihre Nonnen sangen nun so schallend, dabei die Kruzifixe rhythmisch gen Himmel reckend, dass er fast nur noch die Mundbewegungen der Stradová wahrnahm, und während er auf ihre auf-und zuschnappenden Lippen sah, schien es ihm mit einem Mal, dass Katharina in den frommen Gesang eingestimmt hatte:
    »Hinunter in das tiefe Meer Versank des Todes Graun, Und jeder kann nun leicht und hehr In seine Zukunft schaun!«
     
    D’Alembert erhob sich aus seinem Sessel, verneigte sich vor der mütterlichen Mätresse und schritt aus dem Salon.
    Ich wollte Puppenspieler sein, nicht nur Spielfigur, dachte er, und deshalb trifft mich Euer Verdacht so sehr, Madame, obwohl Ihr ihn ganz anders meintet. In gewisser Weise habe ich mich tatsächlich wie der Puppenmacher gebärdet, Julius und Markéta, Fabrio und Lenka und alle anderen wie Schachfiguren umhergeschoben, geopfert, geschlagen, verwandelt. Und aus welchem Grund, Madame? Weil es meiner Eitelkeit schmeichelte, Spieler statt Spielfigur zu sein, den Göttern zugehörig und nicht bloß ihren Kreaturen.
    Langsam ging er den Flur voll altersdunkler Ahnenbilder entlang, fröstelnd vor Müdigkeit.
    Aber das alles werde ich Euch nicht gestehen, Katharina, es wäre eine sinnlose Beichte, die Ihr nur missdeuten könntet. Mein Verrat an Julius war nicht ärger, nicht einmal anders als der Eure, den auch Ihr immer schon begingt an ihm, an Eurem Bastardsohn, der für Euch stets nur eine Puppe war. Euer teuerstes Besitztum, Katharina, eine goldene Marionette, durch deren Adern der kostbarste Saft dieser Welt fließt: Habsburgerblut.
    D’Alembert trat in seinen Salon, ging zu seinem Hirschsofa und sank hinein. Alles, was er in den letzten Monaten, ja in den Jahrzehnten seines Aufstiegs und viel beneideten Lebens als Schutzherr des Kaiserbastards gedacht und geglaubt, erkämpft und verteidigt hatte, schien ihm mit einem Mal fremd, unsinnig, Narretei. Ein Labyrinth wirrer Irrtümer, in dem umhereilend er sein Leben versäumt hatte.
    »Ich bin müde«, sagte er zu Fabrio.

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