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Der Algebraist

Der Algebraist

Titel: Der Algebraist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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einige, und manchmal brauchte man nur zu
sehen, wer sich still verhielt, und wer Laut gab, um sehr viel mehr
zu erfahren, als wenn man die Leute aufforderte, den Mund aufzumachen
und die Wahrheit zu sagen. Es war wie ein Code, der sich
entschlüsseln ließ. Und er hatte das Glück, auf
diesem Gebiet ein Naturtalent zu sein.
    »Sowohl Aggressivität als auch Augenmaß sind
erforderlich, Archimandrit«, sagte der Marschall. »Wir
wissen natürlich, dass Sie über beides verfügen.«
Sie lächelte. Er lächelte nicht zurück. »Wir
wollten nur die Zusicherung, dass Ihre Truppen sich so verhalten,
dass sie Ihr Lob und Ihren Ruhm mehren.«
    »Lob?«, fragte der Archimandrit. »Ich verbreite
Schrecken, Marschall. Das ist meine Strategie. Ich habe festgestellt,
dass die Leute damit am schnellsten und zuverlässigsten
begreifen, was für sie wie für mich gut ist.«
    »Dann denken Sie an die Nachwelt, Archimandrit.«
    »Der Nachwelt zuliebe soll ich Gnade walten lassen?«
    Der Marschall überlegte kurz. »Letztlich ja.«
    »Ich werde das System so erobern, wie ich es für richtig
halte, Marschall. Wir sind zwar Partner, aber Sie können mir
nicht vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe.«
    »Das will ich auch gar nicht, Archimandrit«, sagte der
Marschall schnell. »Ich akzeptiere, was Sie tun müssen, ich
äußere nur eine Bitte hinsichtlich der Art und Weise, in
der es geschieht.«
    »Und ich habe Ihre Bitte zur Kenntnis genommen und werde sie
gebührend beherzigen.« Diese Phrase hatte Lusiferus einmal
gehört – er wusste nicht mehr von wem und wo – und bei
genauerer Überlegung war sie ihm sehr geeignet erschienen.
Besonders, wenn man sie etwas großspurig vortrug: langsam,
gemessen sogar, und mit so unbewegtem Gesicht, dass das
Gegenüber glaubte, man nähme es ernst und sich
womöglich sogar Hoffnungen machte, man würde ihm die Bitte
erfüllen, anstatt sie – bestenfalls – zu ignorieren.
Schlimmstenfalls – soweit es das Gegenüber betraf –
würde man genau das Gegenteil tun, nur um den anderen zu
ärgern und ihm ganz deutlich zu zeigen, dass man sich nicht
herumkommandieren ließ… Das konnte allerdings heikel
werden; irgendwann versuchten die Leute womöglich, einen zu
manipulieren, indem sie so taten, als würden sie das Gegenteil
vorziehen. Und selbst ohne diese Komplikation änderte man sein
Verhalten, weil irgendjemand sich so oder so geäußert
hatte. Damit räumte man anderen eine gewisse Macht über das
eigene Handeln ein. Und dabei hatte alles, was der Archimandrit tat,
nur einen Zweck: niemand sollte sagen können, er
hätte irgendwie Macht über ihn.
    Macht war alles. Geld ohne Macht war nichts. Selbst Glück war
nur Ablenkung, ein flüchtiges Gespenst, ein Druckmittel. Was war
schon Glück? Etwas, das man verlieren konnte. Nur allzu oft
brauchte man andere Menschen, um glücklich zu sein, und verlieh
ihnen damit Macht, gab ihnen eine Handhabe gegen einen selbst, die
sie jederzeit nützen konnten, indem sie einem wegnahmen, was
immer einen glücklich gemacht hatte.
    Lusiferus hatte Glück erlebt, und er hatte erlebt, wie es ihm
genommen wurde. Sein Vater, der einzige Mensch, den er jemals
bewundert hatte – obwohl er den alten Dreckskerl hasste –,
hatte sich von Lusiferus’ Mutter getrennt, als sie alt und
weniger attraktiv wurde. Er hatte sie, als Lusiferus kaum den
Kinderschuhen entwachsen war, durch eine lange Reihe von jungen,
erotisch begehrenswerten, aber seelenlosen, gleichgültigen,
selbstsüchtigen jungen Frauen ersetzt, Frauen, die der Junge
selbst gerne gehabt hätte, aber zugleich verabscheute. Seine
Mutter wurde fortgeschickt. Er sah sie niemals wieder.
    Sein Vater war in den Industriekomplexen der Leseum-Systeme als
Omnokrat für die Merkatoria tätig gewesen. Er hatte ganz
unten angefangen, als Pekulan (der Name bedeutet zynischerweise
nichts anderes, als dass der Amtsinhaber korrupt sein musste, um
anständig leben zu können, und damit ein Strafregister
ansammelte, das man jederzeit aus der Schublade ziehen konnte, falls
er später einmal aus der Reihe tanzen sollte). Dann war er Ovat
geworden und hatte sich Stufe um Stufe bis zum Diegesian
emporgearbeitet. Zunächst hatte er nur einen Stadtteil unter
sich gehabt, dann eine kleine Industriestadt, eine mittlere und eine
Großstadt und schließlich die Hauptstadt eines
Kontinents. Er wurde Apparitor, als sein unmittelbarer Vorgesetzter
in den Armen einer gemeinsamen Geliebten starb. Der Geliebten war es
zunächst sehr

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