Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Algebraist

Der Algebraist

Titel: Der Algebraist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
Vom Netzwerk:
Maxime
eines Verlierers. Besser war es, immer weiter und immer höher zu
steigen, niemals zu ruhen, niemals nachzulassen, niemals absteigen zu
müssen. Wenn man es ernst meinte, war die Vorstellung, was man
– sofern sie noch lebten – von denen zu gewärtigen
hätte, die man einst gekränkt und ausgebeutet oder denen
man sonst ein Unrecht zugefügt hatte, nur ein weiterer Ansporn.
Das Tempo zu drosseln oder sich gar zurückfallen zu lassen kam
nicht in Frage. Ein engagierter Bewerber musste sich immer neuen
Herausforderungen stellen, er musste immer neue Kämpfe bestehen,
er musste immer neue Höhen erklimmen, zu immer neuen Horizonten
aufbrechen.
    Das Leben war ein Spiel, und so wollte es auch behandelt werden.
Vielleicht war das die Wahrheit hinter der ›Wahrheit‹,
jener Religion, in der Lusiferus als gehorsames Mitglied der
Merkatoria erzogen worden war. Nichts, was man tat oder zu tun
schien, war wirklich wichtig, denn alles war – vielleicht –
nur ein Spiel, eine Simulation. Letzten Endes war alles nur Theater.
Sogar den Hungerleider-Kult, als dessen Oberhaupt er auftrat, hatte
er nur erfunden, weil sich der Name gut anhörte. Eine Spielart
der ›Wahrheit‹, gelegentlich mit einem Schuss
Selbstverleugnung gewürzt, um die Leichtgläubigkeit der
anderen von einer höheren Warte aus betrachten zu können.
Die Leute schluckten alles, einfach alles. Manch einer mochte das
bestürzend finden. Für ihn war es ein Geschenk des Himmels,
eine großartige Möglichkeit, die Schwachen im Geiste
auszunützen.
    Man wurde also für grausam gehalten. Menschen mussten leiden
und sterben, andere lernten, einen zu hassen. Und wenn schon? Es
bestand doch immerhin die Chance, dass nichts von alledem wirklich
war. Und wenn doch, nun, dann war das Leben ein Kampf. Das war es
immer gewesen, das würde es immer sein. Wer das begriff, der
überlebte, wer auf die Lüge hereinfiel, der Forschritt und
die Gesellschaft hätten den Kampf überflüssig gemacht,
der vegetierte nur dahin und wurde zur Beute für die anderen,
zum Futter für die Raubtiere.
    Er hegte Zweifel, ob selbst die angeblich so brutalen und
gesetzlosen Beyonder diese elementare Wahrheit erkannt hatten. Sie
ließen Frauen an die Spitze ihrer militärischen Hierarchie
gelangen; das war kein gutes Zeichen. Und der Marschall hatte
offenbar nicht bemerkt, dass es nichts zu bedeuten hatte, als er
sagte, er hätte ihre Bitte zur Kenntnis genommen und würde
sie gebührend beherzigen.
    »Ich danke Ihnen, Archimandrit«, sagte sie.
    Nun lächelte er doch. »Sie bleiben doch noch? Wir geben
ein Bankett zu Ihren Ehren. Hier draußen zwischen den Sternen
hat man so selten einen Anlass zum Feiern.«
    »Es ist mir eine große Ehre, Archimandrit.« Wieder
nickte der Marschall kaum merklich mit dem Kopf.
    Und beim Essen werden wir um die Wette versuchen, einander die
Würmer aus der Nase zu ziehen, dachte er. Du meine
Güte, das ist ein Vergnügen für Intellektuelle. Da
plündere ich schon lieber einen Planeten.
     
    - Haben Sie eine Ahnung, wo wir sind?, signalisierte der
Colonel mit einem Spotlaser. Sie hielten das für die sicherste
Art, sich zu verständigen.
    - Zone Null, am Äquator, sendete Fassin. – Irgendwo vor dem letzten großen Sturm, zehn- bis
zwanzigtausend Kilometer hinter der Ohrengirlande. Ich sehe mir
gerade das letzte Update an, das vor dem Absetzen geladen
wurde.
    Sie kreisten etwa zweihundert Kilometer unterhalb der obersten
Wolkenschicht in einem langsamen Strudel um eine schwache
Ammoniak-Fontäne vom Durchmesser eines kleinen Planeten. Die
Außentemperatur war für menschliche Verhältnisse
geradezu mild. Es gab in fast allen Gasriesen Schichten oder Zonen,
in denen ein Mensch theoretisch auch überleben konnte, wenn man
ihn ohne Schutzkleidung den Elementen preisgab. Natürlich
müsste er wahrscheinlich in einer Wanne mit Schockgel oder einer
ähnlichen Substanz liegen, weil er sechsmal mehr wöge, als
sein Skelett gewöhnt war, was das Gehen und das Stehen schwierig
machte. Die Lunge müsste mit Kiemenwasser gefüllt werden,
damit er in einer Gasmischung, die Sauerstoff nur als Spurenelement
enthielt, auch atmen konnte, und damit Rippen und Brustmuskulatur vom
Schraubstock der Gravitation nicht völlig zusammengedrückt
würden. Außerdem sollte er nicht in einen Schauer aus
geladenen Teilchen kommen. Dennoch: für die Verhältnisse in
den Weiten eines Gasriesen war diese Gegend so angenehm, wie
ein Mensch es sich nur wünschen konnte.
    Colonel

Weitere Kostenlose Bücher