Der Algebraist
Er
wandte den Blick nicht von der vorwärts wogenden Nacht.
»An wen sollte ich mich dann wenden, um diese Hilfe zu
erhalten?«
»Ich war bereits so frei, alles in die Wege zu
leiten.«
»Tatsächlich? Das ist sehr freundlich.«
Valseir schwieg eine Weile, dann sagte er: »Es geht hier
nicht um Freundlichkeit, Fassin.« Er wandte sich zu dem
Pfeilschiff um und sah es fest an. »Niemand, der noch bei klarem
Verstand ist, würde sich in ein Geschehen von solcher Tragweite
hineinziehen lassen. Wenn das, wonach du suchst, auch nur irgendwo
mit der Realität zu tun hat, könnte sich für uns alle
alles ändern. Ich bin ein Dweller. Meine Spezies führt ein
schönes langes – wenn auch egoistisches – Leben und
hat sich weit über die Sternensysteme ausgebreitet.
Veränderungen in der Größenordnung, von der wir hier
sprechen, schätzen wir nicht. Ich weiß nicht, ob
irgendeine Spezies davon angetan wäre. Einige von uns werden
nichts unversucht lassen, um solche Umwälzungen zu vermeiden und
alles genau so zu erhalten, wie es ist.
Du musst dir über eines klar sein, Fassin; wir sind keine
Monokultur, wir sind nicht alle vollkommen gleichgeschaltet. Es gibt
Unterschiede, die selbst du, der du dich so lange und intensiv mit
uns beschäftigt hast, nicht ermessen kannst. In unseren Welten
gehen Dinge vor, von denen die meisten von uns kaum etwas ahnen, und
zwischen unseren Parteien herrschen ebenso tief greifende
Meinungsunterschiede wie bei den Parteien der
›Schnellen‹.«
Parteien, dachte Fassin.
Valseir fuhr fort. »Bei uns stehen nicht alle den Ereignissen
in den Weiten der Galaxis mit der Gleichgültigkeit
gegenüber, die wir im Allgemeinen so erfolgreich zur Schau
tragen. Manch einer würde dir helfen, ohne Genaueres über
deine Mission wissen zu wollen, weil ihm klar wäre, dass sich
dieses Wissen niemals mit der Loyalität zu seiner Spezies
vereinbaren ließe. Andere… andere würden dich auf der
Stelle töten, wenn sie auch nur ahnten, wonach du suchst.«
Der alte Dweller schwebte wie zu einem Flüsterkuss an ihn heran
und signalisierte: - Und ob du es glaubst oder nicht, Fassin Taak,
Drunisine gehört zum ersten Lager, während dein Freund
Setstyin zum zweiten gehört.
Fassin wich zurück und sah den alten Dweller ungläubig
an. Der bekräftigte: – Es ist wahr.
Fassin schwieg einen Moment, dann fragte er: »Wann kann ich
deinem Freund Leisicrofe folgen?«
»Ich denke, du wirst es noch vor dem Ende dieser Nacht auf
die eine oder andere Weise erfahren. Wenn wir beide nicht wenigstens
anfangen, nach Leisicrofe zu suchen, dann können wir auch gleich
deinem Colonel Hatherence folgen.«
Das war Fassin ein wenig zu melodramatisch. »Meinst du
wirklich?«, fragte er und signalisierte Erheiterung.
»Ja, das meine ich wirklich«, sagte Fassin, ohne eine
Empfindung zu signalisieren. »Noch einmal: es geht hier nicht um
Freundlichkeit.«
Saluus Kehar war verärgert. Er hatte an entscheidenden
Stellen seine eigenen Leute sitzen, er hatte spezielle Methoden, um
Dinge in Erfahrung zu bringen, er hatte eigene, von den Medien und
den Regierungsbehörden unabhängige und sichere
Informationskanäle – anders wurde und blieb man nicht der
größte Lieferant des Militärs – und so wusste er
ziemlich genau, was während des katastrophalen Überfalls
auf Nasqueron geschehen war. Es war einfach ungerecht, ihm oder
seiner Firma die Schuld daran zu geben.
Zum einen waren sie verraten worden, oder ihre Informationen und
ihr Funkverkehr waren nicht sicher gewesen, oder jemand (die
Dweller!) hatte ihre Absichten frühzeitig erraten. Aus einem
dieser Gründe – die alle ganz bestimmt nichts mit ihm zu
tun hatten – waren sie in einen Hinterhalt geraten und
kläglich unterlegen. Plötzlich waren Dutzende von
verdammten Superpanzerkreuzern aufgetaucht, von denen bis dahin kein
Schwein je gehört hatte, während die einfallenden Truppen
allenfalls mit einer Hand voll Standardschiffen gerechnet hatten,
ohne reaktive Spiegelpanzerung, ohne Plasmatriebwerke und ohne
Breitbandlaser. Zudem hatten sich die Dweller im Lauf der Jahre
– Jahre? Äonen! – sehr geschickt verstellt. Sie hatten
sich als hoffnungslos tollpatschig und technisch unfähig
verkauft, während sie in Wirklichkeit immer noch Zugriff auf
tödliche Waffen hatten – auch wenn sie nicht mehr zu
spektakulären Neuentwicklungen imstande waren.
Das Militär hatte versagt. Das Werkzeug konnte noch so gut,
der Handwerker noch so geschickt, die Waffe noch
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