Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
würde zurück nach Hause kommen, die Liebe seines Lebens das Leben gekostet hatte, hatte Sam den Daten, die den Projektionen zur Verfügung standen, eine Kalenderfunktion hinzugefügt. Hätte Livvie gewusst, dass es Ende September war, hätte sie vielleicht davon gesprochen, nach Florida zu fliegen statt nach Seattle. Dann wäre Meredith noch am Leben. Dass er das Datum nicht berücksichtigt hatte, war Sams kleinste Sünde, das war ihm klar, aber es war die einzige, die er ohne große Umstände geradebiegen konnte. Infolge dieser Korrektur wussten nun sämtliche Projektionen, dass die schönste Zeit des Jahres gekommen war.
»I rgendwas stimmt da nicht, Sam«, rief David aus einer Ecke des Salons, in der er neben Kelly saß und mit seiner Mutter sprach. »Meine Mutter hat die letzten zehn Minuten über nichts anderes geredet als darüber, was sie alles im Internet bestellen will. Ständig schickt sie mir irgendwelche Links. ›Wie findest du diesen Pullover für Oma? Welche Farbe, was meinst du? Glaubst du, Sheila würde diese Jacke gefallen? Weißt du, welche Größe sie momentan trägt? Was hältst du von diesen Skiern für Papa? Oder meinst du, er hätte lieber Rollerblades?‹ Echt seltsam.«
»Bei mir ist es genauso«, sagte George Lenore, der schon lange nicht mehr im Salon gewesen war . Nachdem alle Punkte auf seiner Liste mit Gegenständen, die er ohne seine Frau nicht fand, abgehakt waren, hatte er eine Zeit lang keinen Grund mehr gesehen, in den Salon zu kommen. Erst mit Verspätung hatte ihm gedämmert, dass er RePrise auch einfach dazu nutzen konnte, mit ihr zu sprechen und sich an ihrer Gesellschaft zu erfreuen. Heute war sie wie alle anderen auf Schnäppchenjagd. »Wenn wir es hier kaufen«, erklärte sie und schickte ihm in einem separaten Chatfenster einen Link, »kostet es nur 149,99 Dollar, allerdings müssen wir noch 12,95 Dollar Versand bezahlen. 12,95 Dollar! Das ist doch Wucher! Das Ding wiegt weniger als ein halbes Kilo. Wenn wir es hingegen dort kaufen« – ein weiterer Link erschien in seinem Chatfenster – »ist zwar der Versand umsonst, aber dort kostet es 161,50 Dollar. Außerdem haben sie es dort nur in Schwarz und Silber, während es der erste Anbieter auch in Blau hat, was ich schöner finde. Was meinst du?«
»Was soll ich denn jetzt tun?«, fragte George hilflos.
Dash zuckte mit den Schultern. »Na ja. Was denken Sie denn?«
»Worüber ?«
»Finden Sie auch das blaue schöner?«
»Keine Ahnung . Ich musste mich noch nie um die Weihnachtseinkäufe kümmern. Deshalb habe ich ja damals geheiratet.«
Weihnachten war natürlich gut fürs Geschäft. Vielleicht war das das Gute, was Weihnachten in den Menschen hervorlockte: Die Kunden sehnten sich danach, mit ihren verstorbenen Lieben in Kontakt zu treten, eventuelle Streitigkeiten der Vergangenheit ruhen zu lassen und sie in ihre Familientraditionen mit einzubeziehen. Natürlich vermissten sie ihre VAs das ganze Jahr, aber an Weihnachten war die Sehnsucht noch größer. Das brachte Schwierigkeiten mit sich. Die Projektionen hatten die Weihnachtstage zu Lebzeiten als heiter und fröhlich erlebt und waren in dementsprechend beschwingter Stimmung, während die Kunden traurig waren und ungewollt auch ein wenig beleidigt, weil sie ihre VAs so schrecklich vermissten und diese sie gar nicht. Die Kunden hatten das Bedürfnis, in Erinnerungen zu schwelgen und sich zu besinnen, während die Projektionen mit der Frage beschäftigt waren, wann sie ihre Geschenke bestellen mussten, damit sie noch vor dem vierundzwanzigsten Dezember eintrafen.
Eine Woche vor Weihnachten kam Edith in den Salon zurück. Celia bot an, alle hinauszuscheuchen, damit sie ihre Ruhe hatte, aber sie wehrte dankend ab, sie seien doch alle eine Familie. Avery kam herüber und hielt ihre Hand, während sich Dash und Sam mit feige eingezogenen Köpfen hinter dem Empfangstresen verschanzten. Die anderen Kunden flüsterten ihren VAs verstohlen zu, dass sie später noch einmal anrufen würden, und taten dann so, als seien sie beschäftigt. Stille legte sich über den ganzen Raum.
»Sie müssen das nicht tun«, sagte Sam zu Edith. »Ich kann ihn vielleicht irgendwie umprogrammieren und noch mal neu starten.«
»Ich will aber«, antwortete Edith . »Dieses Gespräch zwischen meinem Mann und mir ist längst überfällig.«
»Sie könnten auch einfach aufhören mit RePrise«, schlug Dash vor. »Vielleicht haben Sie ja schon alles herausgeholt.«
»Nein, mir gefällt es viel
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