Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
lachte. »Und wie lief das?«
»Nicht besonders gut. Dash hat die Projektion um ein Tamale-Rezept gebeten, aber Dash und ich haben nie über Tamale oder überhaupt über Rezepte miteinander gesprochen. Die Projektion hatte also keine Ahnung, wovon er spricht. Sie hat Tamale im Internet nachgeschaut, aber nichts Sinnvolles gefunden und daher nicht mehr weitergewusst.«
» Die Projektion wird nie selbstständig handeln können, Sam.«
»Wie meinst du das?«
»Du erschaffst schließlich keinen neuen Menschen, sondern reproduzierst eine bereits existierende Beziehung zwis chen zwei Menschen. Natürlich funktioniert es nicht, wenn ein User versucht, die Projektion auszutricksen. Das wird aber nicht passieren. Die User werden der Projektion auf halber Strecke entgegenkommen, sogar noch weiter. Sie werden die Projektion leiten und führen und sie von allem fernhalten, was sie nicht weiß und auch nicht wissen kann. Genau darum geht es doch, oder? Es soll so nah wie möglich an der Vergangenheit sein, an der Person, wie sie einmal war. «
»Ja, schon. Aber werden die Leute denn nicht versuchen, herumzuexp erimentieren und vom ausgetretenen Pfad abzuweichen, also zum Beispiel Themen anzuschneiden, über die sie mit der Person noch nie geredet haben?«
»Doch, klar.«
»Ist das nicht ein Problem?«
»Ja, und zwar ihres. Wenn die User keine verwirrten Projektionen wollen, werden sie alles tun, um sie nicht aus dem K onzept zu bringen. Die User wollen ihre verstorbenen Angehörigen zurück und werden sich deshalb so genau wie möglich an ihre alten Verhaltensweisen halten. Denn das ist doch das Ziel: mit geliebten Menschen nach ihrem Tod in Verbindung zu bleiben. Und nicht, neue Menschen kennenzulernen oder neue Beziehungen aufzubauen.«
»Wahrscheinlich hast du recht.«
»Die Projektion wird weder intelligent sein, noch einen freien Willen haben, Sam. Sie wird nicht menschlich sein. Sie wird lediglich so sein, wie der Verstorbene vor seinem Tod war. Sie ist re ine Imitation. Wie ein Papagei – der kann zwar klingen wie ein Mensch, wird aber nie verstehen oder gar meinen, was er sagt.«
»Aber je näher die Projektion an der Realität ist, desto eher werden die User das vergessen.«
»Da hast du allerdings recht. Die User sind immer das Problem. Weißt du, was helfen würde? Ein Signal. Etwas, was die Projektion sagen kann, wenn sie verwirrt ist, um den User zu warnen.«
»Glaubst du denn, dass die ganze Sache überhaupt möglich ist, Dad?«
»Klar. Warum nicht?« Da stellte Sam die Regeln von Leben, Liebe und Tod auf den Kopf und entlockte seinem Vater nur ein unaufgeregtes »Warum nicht?«.
»Und findest du, dass es eine gute Idee ist?«
»Na ja, ein gutes Gedankenexperiment ist es auf jeden Fall.«
Je weiter Sam dieses Gedankenexperiment vorantrieb, desto klarer wurde ihm, dass sein Vater recht hatte – wie immer. Der erste Nicht-Sam war am menschlichsten gewesen, am meisten wie Sam. Verwirrung war kein Versagen, sondern Erfolg. Verwirrung angesichts eines Gesprächspartners, der wie Dash unzusammenhängenden Blödsinn von sich gab, war genau die Reaktion, die auch der echte Sam gezeigt hätte. Tom Holly und die Hauptstadt der Northern Region von Ghana waren hingegen Computerantworten gewesen, und genau das wollten sie vermeiden. Sie wollten menschliche Reaktionen, und die ratlose und ein wenig verdatterte Überzeugung von Nicht-Sam 1.0, dass Dash ihn auf den Arm nahm, schien noch die menschlichste zu sein. Also verwehrte Sam Nicht-Sam wieder weitgehend den Zugriff aufs Internet und stufte in seinem eigenen Nachrichtenarchiv die Priorität seiner Kommunikation mit anderen Personen außer mit Dash herunter. Er erstellte eine Art Pyramide aus dem, was Nicht-Sam wusste, und dem, was Nicht-Sam wissen konnte. Den Sockel der Pyramide bildete seine Kommunikation mit Dash, der mittlere Teil bestand aus Sams Korrespondenz mit allen anderen, und die restliche Welt bildete die klitzekleine Spitze. Ein empfindliches Gleichgewicht aus Bekanntem, Unbekanntem und Dingen, die er schlicht und ergreifend nicht wissen konnte .
»Dieses Mistding hat mich angelogen.« Dash konnte es immer noch nicht glauben. »Es hat gesagt, es guckt im Schlafzimmer nach, und ist dann einfach nicht mehr zurückgekommen.«
»Mein Vater sagt, dass wir einen Satz brauchen, der als Signal dient «, berichtete Sam.
»Wie wär’s mit: ›Lüg mich nicht an, du Mistding!‹?«
»Nicht für dich. Für die Projektion. Ein › Das ist unlogisch‹,
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