Der Algorithmus der Liebe: Roman (German Edition)
dieses Wochenende doch mal wieder ein paar Leute einladen.«
»Und wen ?«
»Wir hatten mal so was wie Freunde«, antwortete Meredith.
»Die haben wir doch immer noch.«
»Ich meine aber nichtelektronische Freunde.«
»Ach, die hat heutzutage niemand mehr«, winkte Sam ab.
»Dann komm morgen wenigstens mit zum Spiel .«
»Kann ich nicht, Merde. Ich muss diese blöden Programmfehler beseitigen.«
»Livvie hätte es aber gewollt.«
»Nimm Dash mit. Deine Großmutter hätte gewollt, dass du ihn mitnimmst.«
»Er ist aber morgen in L. A. Und du bist hier.«
»Ja, aber weißt du, wie man Programmfehler am besten angeht, Merde?«
»Wie?«
»Arsch auf Stuhl. Anders geht es nicht.«
Es war Eröffnungsspieltag, und Sam war aufgeregt. W ährend sich auf seinem Computerbildschirm die Programme aufbauten, las er in anderen Fenstern Prognosen und Trainingsberichte und wälzte Verletzungslisten. Er freute sich wahnsinnig darüber, dass die Baseballsaison endlich wieder losging, aber er fand, dass sie genau aus diesem Grund einen Fernseher und ein Radio besaßen – damit er arbeiten konnte und gleichzeitig die Spiele mitbekam.
»Am Eröffnungstag hinzugehen ist aber Tradition«, sagte Meredith.
»Ja, und zwar deine«, erwiderte Sam. Er wäre gerne mit ihr zum Spiel gegangen, aber sie hatten nun mal alles in RePrise investiert, hatten alles auf diese eine Karte gesetzt, und es gab auf der ganzen Welt nur einen Menschen, der das Ganze zum Laufen bringen konnte, nämlich ihn. »Frag doch Penny.«
»Livvies Nachbarin ?«
»Unsere Nachbarin.«
»Ich weiß nicht. Sie ist ziemlich neben der Spur, seit ihr Mann gestorben ist.«
»E in Grund mehr«, sagte Sam.
Meredith ging also nach unten, um Penny zu fragen, ob sie mit zum Spiel wollte. Zwei Minuten später klingelte Sams Handy. »Ich weiß, dass dich mit deinem Stuhl eine enge Liebesbeziehung verbindet«, sagte sie, »aber du musst trotzdem sofort runterkommen.«
Pennys Wohnung lag zwei Stockwerke unter ihnen und war genau wie Livvies Wohnung geschnitten – der gleiche Grundriss, die gleiche Küche, die gleichen Badezimmereinbauten, der gleiche Balkon, die gleiche Glasfront, die gleiche Aussicht. Aber ansonsten wähnte man sich in einem anderen Universum. Dass die Aussicht dieselbe war, konnte Sam tatsächlich nur ahnen, da die Fenster von dicken dunkelgrünen Vorhängen bedeckt waren. Er spürte, wie sich seine Pupillen im Dämmerlicht weiteten. Nicht nur die Vorhänge verdunkelten den Raum, sondern auch die schummrige Beleuchtung, die dunkle Goldtapete, der dunkelblaue Teppichboden, der fleckig, verfilzt und bretthart war, und die dicke Staubschicht, die über allem lag. Sam machte zwei abgewetzte Ledersessel, ein Sofa mit geflickten Kissen, aus denen das Füllmaterial quoll, und zwei Holztische aus, die so alt waren, dass ihre Maserung mit der Zeit glatt und schwarz geworden war. Auf sämtlichen Oberflächen stand schmutziges Geschirr. Auch Küche nablage und Spüle waren vollgestellt mit leeren verkrusteten Konservendosen, leeren Tiefkühlgemüsetüten, leeren Hüttenkäsebechern und leeren Eispackungen. In der ganzen Wohnung waren Kleiderstapel verteilt, die aussahen wie Ameisenhügel und um die sich Sam mühsam einen Weg bahnen musste, bis er Meredith endlich gefunden hatte. Im Schlafzimmer herrschte ebenfalls ein Durcheinander aus Kleidern, Tellern, Wassergläsern, Medikamentendöschen, schmutzigen Handtüchern und Laken, alten Zeitschriften und staubigen Bücherstapeln. Neben der Badezimmertür türmte sich ein wankender Stapel mit übrig gebliebenen Programmheften von Alberts Trauerfeier, die zwei Monate vor Livvies Tod stattgefunden hatte. Meredith und Sam warfen sich einen langen, erschütterten Blick zu.
»Tut mir leid, dass es hier ein bisschen unordentlich ist « , entschuldigte sich Penny und machte eine vage Geste durch den Raum. Sie trug einen Tennisschuh, einen Hausschuh und einen Regenmantel und sah aus, als hätte sie sich schon länger nicht mehr gewaschen. »Ich habe nämlich keinen Besuch erwartet.« Als wäre es nur ein bisschen unaufgeräumt. Als müsste man nur hier und da etwas vom Boden aufheben. War die Wohnung derart verkommen, während sie ihren sterbenden Mann gepflegt hatte, oder fehlte ihr seit seinem Tod die Energie – oder die Lust – zum Aufräumen? Wie konnte es sein, dass noch niemand etwas davon mitbekommen hatte?
Meredith erklärte Penny, dass sie gleich wieder da seien, und zog Sam ins Treppenhaus hinaus. »Meinst du,
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