Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman
ihren Angeln bebte, und eine Frau mittleren Alters öffnete. Sie warf einen kurzen Blick auf meine Arbeitsuniform mit den aufgenähten amerikanischen Insignien, und gleich darauf stieß sie gellende Klagelaute aus, warf sich mir entgegen, drosch mit ihren dünnen Armen auf mich ein und trommelte mit winzigen Fäustchen gegen meine Brust. Ich packte ihr Handgelenk, drehte ihr den Arm auf den Rücken und warf sie zu Boden.
Sie bleckte die Zähne und fauchte mich an wie eine streunende Katze.
»English?«, fragte ich.
»Too late«, sagte sie. »Gone. All dead.«
»Heinrich Ziegler?«
Ihr kamen die Tränen, und ich beschloss, das Haus zu durchsuchen. Drinnen war es dunkel. Schmutziges Geschirr stapelte sich im Spülbecken, und Kakerlaken huschten über den Küchenboden. Auf einem Beistelltisch im Schlafzimmer fand ich vier persönlich übergebene Briefe, in denen Greta Ziegler über den Tod ihrer Söhne Gustav, Albert und Heinrich sowie den ihres Mannes Karl informiert wurde.
Ich nahm die Papiere mit nach draußen, wo Zieglers Mutter noch immer weinend im Schmutz saß.
»Where is he buried?«, fragte ich und deutete auf Heinrichs Namen auf dem Papier. Ich schrie sie einige Male an, bevor sie auf einen Kirchturm deutete, der in der Ferne über eine Anhöhe gerade noch zu sehen war. Ich warf die Briefe auf den Boden und trampelte darauf herum, bevor ich zurück zu meinem Motorrad stolzierte.
Sie hatte alle Menschen verloren, die ihr lieb und teuer gewesen waren, aber ich hatte für keinen einzigen Deutschen Sympathie übrig. Meiner Meinung nach hatte die ganze verdammte Bande den Zores verdient, der sie jetzt traf.
Der Kirchhof war voller frischer Gräber, und die drei Gebrüder Ziegler lagen dort zusammen mit ihrem Vater begraben. Ich betrachtete eine Weile Heinrichs Grabtafel. Die Daten entsprachen denen in den Briefen, und die Briefe stimmten überein mit den Akten, die ich in Berlin gesehen hatte. Ich rauchte eine Zigarette und drückte sie zum Schluss auf einem Stein aus. Das hinterließ einen schwarzen Fleck.
Im Laufe der Jahre haben mich viele Menschen belogen, so viele, dass ich normalerweise erkenne, wodurch sie sich verraten. Wenn Greta Ziegler mir einen Hinweis gegeben hatte, dass sie nicht die Wahrheit sagte, erinnerte ich mich nicht daran. Sie glaubte wirklich, dass ihre Söhne gefallen waren. Und ich glaube nicht, dass Heinrich seine Mutter in sein falsches Spiel eingeweiht hatte. Er überließ sie ihrem Kummer und machte, dass er davonkam. Vielleicht konnte er ihr nicht unter die Augen treten, konnte nicht heimkehren nach alledem, was er gesehen und selbst getan hatte. Oder vielleicht war es ihm auch einfach egal.
7
Billy rief am folgenden Morgen an, um mich wissen zu lassen, dass er ein viel besserer Detective sei als ich. Als das Telefon klingelte, rührte ich gerade in meiner Schüssel mit Haferbrei und motzte Rose an, er sei nicht heiß genug.
»Wie geht’s denn, Pop?«
»Bin noch auf den Beinen«, sagte ich.
»Ich hab über deine Geschichte mit einer Bekannten gesprochen, die ehrenamtlich für die Anti-Defamation League arbeitet.«
»Ja, und?«
»Wir haben überlegt, dass dein Freund Jim Wallace nicht der einzige gewesen sein kann, der Ziegler gesehen und erkannt hat, und daher dachten wir, dass bei den Leuten, die flüchtigen Kriegsverbrechern auf der Spur bleiben, vielleicht noch mehr Informationen zu holen wären. Sie riet mir, mich an eine Organisation zu wenden, die Simon Wiesenthal Center heißt. Dort setzt man sich für Menschenrechte ein und kämpft gegen Antisemitismus. Zudem haben die Leute viel Zeit damit verbracht, Naziverbrecher aufzuspüren.«
»Davon hab ich gehört.«
»Ja«, sagte Tequila. »Also hab ich da angerufen und von denen allerhand faszinierende Informationen über deinen Freund bekommen.«
»Klär mich auf«, sagte ich. Ich wusste nicht recht, ob ich fasziniert oder gereizt sein sollte.
»Ziegler geriet 1969 zum ersten Mal ins Visier der Nazijäger, als der israelische Geheimdienst Mossad Hinweise darauf fand,dass er noch lebte. Ein anderer flüchtiger Nazi, den sie fassen konnten, gestand, Ziegler dabei geholfen zu haben, sich falsche Papiere zu beschaffen. Indem sie den diversen Decknamen folgten, die ihnen diese Quelle verriet, konnten die Israelis die Spur deines Nazis bis in die USA verfolgen.«
»Er ist also hier?« Ich biss in einen Apfel. Mein Zahnarzt hatte mich mal gefragt, wie es mir gelungen sei, mit siebenundachtzig noch alle Zähne zu
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