Der Altman-Code
Schwierigkeiten sehe ich anderswo. Wir gewähren unabhängigen Rechercheuren keinen Zugang mehr zu unseren Unterlagen. Das letzte Mal, dass wir das offiziell getan haben, war vor zehn Jahren, und natürlich hatte uns der Betreffende etwas vorgemacht. In Wirklichkeit suchte er nämlich nach Beweisen für angebliche Verbindungen der Firma zu den Nazis …«
»Die selbstverständlich nicht bestanden«, ergänzte Kerr für ihn. »Dafür gab es nicht den geringsten Beweis.«
»Richtig. Aber sobald einmal bekannt geworden war, dass man uns verdächtigte …« Er sprach den Satz nicht zu Ende.
»Das muss sehr geschäftsschädigend gewesen sein. Das Problem ist also, dass Sie durchaus bereit wären, mir Ihr Archiv für Recherchen zur Verfügung zu stellen, aber nicht wollen, dass irgendjemand etwas davon erfährt, bis feststeht, dass ich die Firma in meinem Roman gebührend würdige?«
»Ja, genau so ist es. Es freut mich, dass Sie dafür Verständnis haben. In jüngster Vergangenheit sind wir sehr gut damit gefahren, einigen wenigen ausgesuchten Rechercheuren abends nach Büroschluss Zutritt zu unserem Archiv zu gewähren. Wären Sie damit einverstanden?«
»Hm …« Dianne Kerr dachte nach. »Das dürfte sich vermutlich machen lassen. Außerdem bin ich wirklich sehr an der Frühgeschichte von Donk & LaPierre interessiert.«
»Na schön. Dann machen wir es doch so. Ich werde unseren Sicherheitsdienst verständigen. Ich selbst arbeite noch bis spät in die Nacht hinein. Allerdings muss ich Sie bitten, keine Dokumente mit nach Hause zu nehmen.
Unser Archivar wird Ihnen alles zeigen, damit Sie die älteren Unterlagen selbst ausfindig machen können und den Umgang mit ihnen lernen.« Dianne Kerr lächelte. »Wirklich sehr freundlich von Ihnen. Wie könnte ich da anders, als dankbar anzunehmen?«
»Wann würden Sie denn gern anfangen?«
»Wäre heute Abend zu früh?«
»Heute Abend schon?« Einen Moment huschten Bedenken über LaPierres Gesicht. »Nun ja – selbstverständlich. Ich werde meinen Assistenten bitten, Ihnen ein entsprechendes Schreiben und einen Ausweis ausstellen zu lassen. Er wird Sie auch dem Archivar vorstellen.« Dianne Kerr stand auf. »Wirklich zu freundlich von Ihnen. Ich verspreche Ihnen, den Ablauf hier nicht zu stören.«
»Sie haben mein vollstes Vertrauen.« Punkt zwanzig Uhr fand sich Dianne Kerr an der abgeschlossenen Eingangstür von Donk & LaPierre ein. Sie trug schwarze Jeans, einen schwarzen Turtleneck-Pullover, schwarze Baumwollsocken, dunkelblaue Laufschuhe und eine braune Lederjacke und hatte einen Aktenkoffer dabei.
Der Wachmann am Eingang nickte ihr zu. »Guten Abend. Mevrouw Kerr, nicht wahr?« Sein Englisch hatte einen starken flämischen Akzent.
»Ja.« Sie zeigte das Empfehlungsschreiben und ihren Ausweis.
»Wenn Sie sich den Ausweis bitte um den Hals hängen und Ihren Aktenkoffer öffnen würden.« Das tat sie, und es kamen Notizblöcke, Haftnotizen, ein Französisch-Wörterbuch, ein Holländisch-Flämisch-Wörterbuch, ein Weltalmanach und mehrere Kugelschreiber zum Vorschein.
Der Wachmann nickte. »Das Handwerkszeug des Schriftstellers.«
»Noch immer das Gleiche wie am ersten Tag.« Dianne Kerr lächelte.
Einmal im Gebäude, ging sie ins oberste Stockwerk, wo sich das Archiv befand. Außer dem Büro des Direktors gab es dort keine weiteren Räume mehr. In dem höhlenartigen, mit Aktenschränken voll gestellten Raum roch es leicht antiseptisch. Im Hintergrund summte leise die Klima-und Lüftungsanlage. Laut Aussagen des Archivars war sie zur besseren Erhaltung der Dokumente sehr leistungsstark und mit speziellen Luftfiltern ausgestattet worden.
Kerr holte einen Notizblock aus ihrem Aktenkoffer und trug die erste handschriftliche Akte von Jan Donk Importeure zu einem schmalen, von hohen Holzstühlen gesäumten Tisch. Die Dokumente waren vergilbt und spröde. Sie ging bei ihrer Durchsicht sehr behutsam mit ihnen um und machte sich immer wieder Notizen.
Vier Stunden später war endlich auch Monsieur LaPierre nach Hause gegangen, der Wachdienst hatte seine mitternächtliche Runde beendet und im ganzen Haus herrschte Grabesstille. Kerr öffnete wieder ihren Aktenkoffer und drückte auf einen der Messingbeschläge. Darauf öffnete sich ein Geheimfach, dem sie eine Miniaturkamera und ein Paar dünne Latexhandschuhe entnahm.
Sie stand auf, ging, während sie sich die Handschuhe anzog, ans andere Ende des Archivs und zum letzten Aktenschrank, der Korrespondenz und Dokumente der
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